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Zweite Edition des Claussen-Simon-Kompositionspreises

Die Claussen-Simon-Stiftung schreibt nach 2020 zum zweiten Mal den mit 15.000 Euro dotierten Claussen-Simon-Kompositionspreis in Kooperation mit der Elbphilharmonie Hamburg und dem NDR Elbphilharmonie Orchester aus.

Der Kompositionspreis wird in Form eines Auftragswerks für großes Orchester an eine:n junge:n Komponist:in (Altersgrenze: 35 Jahre) vergeben. Die Uraufführung ist im Rahmen des Festivals „Elbphilharmonie Visions“ im Februar 2025 geplant. Bewerbungen sind bis zum 15. März 2023 möglich. Einzureichen ist eine Ideenskizze einer Orchesterpartitur in Notenschrift (mind. 3 Minuten) sowie eine wörtliche Beschreibung des im Rahmen des Kompositionspreises zu erstellenden Werks.

Ziel des Kompositionspreises ist es, einer:m jungen Komponist:in die Uraufführung eines groß angelegten Werks in einem musikalisch exzellenten Rahmen zu ermöglichen und zugleich inhaltliche und organisatorische Begleitung im Laufe des Kompositionsprozesses zu bieten. Durch die Zusammenarbeit der drei renommierten Institutionen erfährt der/die Ausgezeichnete umfangreiche Förderung, Vermittlung wertvoller Erfahrungen und aktive Unterstützung auf dem Weg zu einer professionellen Etablierung als Komponist:in. Zentral dabei ist ein direkter Austausch mit wesentlichen Akteur:innen von Orchester, Konzerthaus und Stiftung.

Ausschreibung (Deutsch) (pdf)

Invitation for Application (engl.) (pdf)

Informationen zur Besetzungsgröße des zu komponierenden Werks

YouTube-Video

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Lisa Streich: Claussen-Simon-Kompositionspreis 2020

Am 2. Februar 2023 wurde im Rahmen der Biennale „Elbphilharmonie Visions“ das Werk „Flügel“ der schwedischen Komponistin Lisa Streich mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert im Großen Saal der Elbphilharmonie uraufgeführt. Lisa Streich ist die erste Preisträgerin des mit 15.000 Euro dotierten Claussen-Simon-Kompositionspreises.

         

»Ich freue mich sehr, dass die Claussen-Simon-Stiftung diesen neuen Kompositionspreis gestiftet hat, denn er ergänzt unser neues Festival Elbphilharmonie Visions kongenial. Die Förderung der zeitgenössischen Musik erfährt hier unmittelbar eine Übersetzung ins Praktische, weil sichergestellt ist, dass das ausgezeichnete Werk in exponiertem Rahmen erklingt – und im Großen Saal der Elbphilharmonie, der für die neue Musik wie geschaffen ist. Bei der Findungs-Session vor wenigen Wochen mit Alan Gilbert und dem NDR Elbphilharmonie Orchester wurden die Arbeiten der Wettbewerbs-Finalisten angespielt, das war schon ungemein spannend zu erleben. Die Entscheidung für Lisa Streich war trotz starker Konkurrenz einstimmig. Nun freue ich mich auf ihr neues Werk und die durch die Claussen-Simon-Stiftung ermöglichte Bereicherung des Repertoires an zeitgenössischer Orchestermusik.«

Christoph Lieben-Seutter
Generalintendant Elbphilharmonie & Laeiszhalle

»Ein besonders wichtiger Bestandteil unserer Feier der zeitgenössischen Musikwelt ist die Anerkennung und die Unterstützung der herausragenden Komponisten der neuen Generation. Die Initiative der Claussen-Simon-Stiftung für den Kompositionspreis in Zusammenhang mit dem neuen Festival Elbphilharmonie Visions ist von immenser Bedeutung für dieses Ziel. Der Findungsprozess, aus dem Lisa Streich als Gewinnerin hervorgegangen ist, war für alle Teilnehmenden faszinierend: In der Leseprobe der eingereichten Werke hat das NDR Elbphilharmonie Orchester Brillantes geleistet und wir alle (Jury, Ausführende und Kandidaten) können dadurch aktiv Anteil nehmen an der wesentlichen Aufgabe, eine förderliche Umgebung für einen kreativen Kompositionsprozess zu schaffen.«

Alan Gilbert
Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters


 

Lisa Streich: Claussen-Simon-Kompositionspreis 2020

Über Lisa Streich

(ausführliches Interview s. unten)

Lisa Streich, geboren 1985 im schwedischen Norra Råda, studierte Komposition und Orgel in Berlin, Stockholm, Salzburg, Paris und Köln, u.a. bei Johannes Schöllhorn, Adriana Hölszky, Mauro Lanza und Margareta Hürholz. Meisterkurse bei u.a. Chaya Czernowin, Steven Takasugi und Beat Furrer runden ihre musikalische Ausbildung ab. Ihre Musik wurde u.a. in Schweden, Deutschland, Israel, Frankreich, Österreich, Großbritannien, Japan, Kanada und in den USA gespielt. Unter den ausführenden Ensembles waren das Deutsche Symphonieorchester Berlin, Quatuor Diotima, Ensemble Recherche, Nouvel Ensemble Moderne, OENM, der Eric Ericsson Kammerchor und Schwedens Radiochor. Ihre Musik war beim MATA Festival New York, beim Festival Ultraschall Berlin, den Festivals IRCAM Paris, Wien Modern sowie im Kölner Dom zu erleben. Lisa Streich erhielt neben weiteren den Orchesterpreis des Anne-Sophie Mutter Fonds, den Busoni-Förderpreis der Akademie der Künste Berlin, den Rom-Preis der Villa Massimo, den Ernst von Siemens Komponistenpreis und war Inhaberin des Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendiums. Lisa Streich ist außerdem Gewinnerin von ricordilab 2019-2022, einem Förderprogramm für junge Komponist:innen, durchgeführt von Ricordi Berlin in Kooperation mit internationalen Partnern. Ihre Werke wurden u.a. bei WERGO/Edition zeitgenössische Musik und bei KAIROS veröffentlicht.

»Meine Freude ist groß, den ersten Claussen-Simon-Kompositionspreis zu erhalten und ein neues Stück für großes Orchester, Alan Gilbert und diesen Saal zu schreiben. Hamburg ist meine deutsche Heimat. Hier begann meine musikalische Biographie in meiner Jugend. Es berührt mich deshalb sehr, hierher mit Musik zurückzukommen, wo meine Liebe zu ihr doch hier begonnen hat, quasi die Wiege all meiner musikalischen Gedanken ist. Ich hege eine große Faszination für Alan Gilberts Klang – den ich 2016 zum ersten Mal live in Luzern erleben durfte. Er besitzt in meinen Ohren eine ganz besondere, geerdete Farbe. Ob und wie ich diese und das klangliche Relief des Saals in das Werk einschreiben werde können, darauf bin ich sehr gespannt. Ich danke der Claussen-Simon-Stiftung für diese faszinierende Aufgabe.«

Lisa Streich

Interview mit Lisa Streich

Welche Bedeutung hat der Claussen-Simon-Kompositionspreis für Dich?

Es ist, als ob sich der Kreis schließt. Zum einen habe ich im Rahmen eines Meisterkurses in Luzern 2016 mein erstes großes Orchesterstück aufführen können, und seitdem habe ich mir immer gewünscht, wieder ein Stück für große Orchesterbesetzung zu schreiben. Zum anderen ist es ein ganz besonderes Gefühl, nun dank des Kompositionspreises zurück nach Hamburg zu kommen. Denn hier habe ich als Jugendliche Klavier- und Kammermusikunterricht an der Hochschule für Musik und Theater erhalten. Alles greift auf gewisse Weise ineinander: Ich habe zwar als Jugendliche in Hamburg in Konzerten gespielt, aber meine Musik ist hier selten gespielt worden. Die Uraufführung des neues Werks in der Elbphilharmonie ist auch deshalb ein ganz besonderes Erlebnis für mich.

Beeinflusst die Tatsache, dass Dein Werk im Großen Saal der Elbphilharmonie aufgeführt werden wird, Deine Komposition? Ist die besondere Akustik des Saales ein Aspekt, der sich in das Werk einschreiben wird?

In meiner Musik gibt es immer starke Kontraste. Teilweise ist sie sehr laut, und teilweise auch sehr sehr leise. Diese Differenz geht in den falschen Sälen unter. Entweder wird sie so komprimiert, dass die Extreme nicht mehr herauskommen, oder die Musik wird verschluckt und man hört sie gar nicht mehr. Schon in der Listening Session zum Claussen-Simon-Kompositionspreis in der Elbphilharmonie war zu merken, dass dort im Großen Saal wirklich alles zu hören ist, jede Nuance, auch wenn es ganz ganz leise ist. Und das ist natürlich sehr spannend, denn dadurch öffnet sich das ganze klangliche Spektrum, meiner Komposition sind gewissermaßen keine Grenzen gesetzt.

Was bedeutet die Zusammenarbeit mit Alan Gilbert, dem Chefdirigenten des NDR Elbphilharmonie Orchesters, für Dich?

Alan Gilbert habe ich 2016 in einer Master Class in Luzern erlebt, und es war wirklich ein einschneidendes Erlebnis für mich. Denn dort konnte ich ein Stück, dirigiert von vielen verschiedenen Dirigenten, hören. Es war sehr faszinierend: Ein und dasselbe Stück war so unglaublich unterschiedlich in Klang und Ausdruck, je nachdem, wer am Pult stand. Man denkt, dass die Gesten sehr viel ausmachen, die Expressivität des Dirigenten. Doch nur die Art, wie sie standen, wie sie sich positionierten, hat schon so viel ausgemacht. Die Bedeutung des Dirigenten für Wirkung und Interpretation von Musik ist mir dort sehr unmittelbar bewusst geworden. Alan Gilbert hat sich hingestellt, und es gab diese Erdung bei ihm, der Klang stand auf festen Füßen. Das war sehr faszinierend. Seitdem höre ich mir immer wieder Konzerte mit ihm an.

Wird es während des Kompositionsprozesses einen Austausch mit dem Dirigenten und dem Orchester geben?

Ja, das ist so vorgesehen, und ich möchte unglaublich gerne nach Hamburg kommen und Dinge ausprobieren. Aus solchen direkten Zusammentreffen lässt sich sehr viel mitnehmen. Ich kann viel weiter gehen, als es normalerweise möglich ist, wenn ich zum Beispiel nur einen Auftrag habe und dann erst zur Endprobe vor dem Konzert komme. Das ist immer eine vergebene Chance. Auch für die Orchestermusikerinnen und -musiker ist es schön, Teil des Prozesses zu werden. Manchmal haben sie auch noch sehr gute Vorschläge, wenn sie verstehen, wonach man sucht. Das ist ein spannender, wechselseitiger, inspirierender Prozess. Je stärker sie eingebunden sind, desto stärker ist auch das musikalische Erlebnis für sie, denke ich.

Beeinflusst die Corona-Krise Deine Arbeit in irgendeiner Weise? Welche Wirkung haben äußere Ereignisse auf Dein Schaffen und Deine Musik?

Ich bin definitiv jemand, die sich sehr vom Leben beeinflussen lässt in der Musik. Wir durchleben eine ganz spezielle Zeit, und ich denke, das wird man auch in allen Musiken, die jetzt geschrieben werden, spüren, man wird etwas Gemeinsames heraushören können. Was das ist, das weiß man natürlich noch nicht. Aber es ist etwas Merkwürdiges in der Luft, eine bestimmte Ungewissheit, was zurzeit unser aller Leben prägt, und das wird sich sicher ganz automatisch in die Musik einschreiben, ohne dass ich es jetzt mit Worten fassen könnte.

Allgemeiner gefragt: Wie entsteht eine Komposition?

In der Regel denke ich erst einmal sehr lange nach, bevor ich etwas zu Papier bringe. Wenn ich dann verschiedene Teile vom Stück im Kopf habe, versuche ich das erst mal zu skizzieren und dann immer mehr im Detail auszuarbeiten, auf Notenpapier. Ich arbeite nur am Schreibtisch, Instrumente würden mich eher stören und ablenken, den Fokus schwächen. Erst wenn ich die Orchesterstimmen für die einzelnen Stimmen ausarbeite, nutze ich auch Instrumente, um den Klang zu prüfen. Aber wenn ich am Ganzen arbeite, nutze ich am liebsten nur Papier.

Wie gehst Du an dieses neue Auftragswerk, das mit dem Kompositionspreis verbunden ist, heran?

Ich habe mir Zeit zum Nachdenken gegeben bis August. Fragmente habe ich schon. In den merkwürdigsten Momenten kommen plötzlich Ideen. Aber ich weiß noch nicht, wie das Ganze aussehen wird, wie es sich anhören soll. Und das ist auch das Spannende: Wenn ich mich dann an den Schreibtisch setze, führt das oft dann noch einmal ganz woanders hin. Es ist ein nie stillstehender Prozess. Ich nenne das „Konversation mit der Musik“. Die Musik und ich, wir führen einen Dialog über die Möglichkeiten, und der kann in ganz verschiedene Richtungen führen. Und schließlich zum fertigen Werk.

Gibt es diesen einen Punkt, wenn klar ist: Das Werk ist fertig! Oder passiert dies auch eher in einem Prozess des Übergangs?

Ja, diesen Moment gibt es ganz eindeutig. Dann weiß ich über das Stück: Du bist jetzt ein eigenständiges Werk. Wenn es nicht fertig ist, dann wurmt mich das, dann muss man einfach warten, weiterschauen, wo der Fehler liegt. Ich gebe dem Werk immer erst ganz am Schluss die eigentliche Form, oft kann man die Form dann einfach verändern, sodass das Ganze mehr Sinn macht. Oder man muss tatsächlich noch etwas hinzufügen oder etwas wegnehmen. In der Regel werfe ich die Hälfte im Laufe einer Komposition weg. Das ist natürlich zeitlich gesehen ein großer Schwund, aber kurz und prägnant ist besser als lang und unentschlossen. Das ist ein Teil des Prozesses, es gehört dazu.

Der Moment der Uraufführung: Hast Du davon Bilder im Kopf, ist es das Ziel, auf das Du hinarbeitest? Oder schiebst Du diese Vorstellung eher weg?

Es ist eigentlich wie eine Geburt: Wenn das Werk da ist, wenn es erklingt, ist es immer eine Spur anders, als man es sich vorgestellt hat, es gibt immer Überraschungen. Bei der Aufführung verändert es sich auch im Vergleich zu den Proben, weil dann die Zuhörer im Saal sind. Man spürt ihre Anwesenheit und wie sie die Musik hören. Die Leute fragen mich häufig, wie es für mich war. Aber ich kann in diesen Momenten eigentlich gar nicht richtig zuhören. Weil das so intensiv ist.

Nimmst Du Dir für Deine Werke Themen vor?

Ich habe durchaus oft außermusikalische Ausgangspunkte, die ich aber nicht vermitteln möchte. Sie dienen eher als roter Faden für mich und das Stück. Aber ich möchte damit die Zuhörer nicht limitieren. Man beraubt sie damit um das eigene Erleben. Jeder soll beim Zuhören Zeit haben, dazu Stellung zu nehmen, sich eigene Fragen zu stellen. Wo befinde ich mich jetzt in diesem Stück, kann ich irgendetwas spüren, was vielleicht auch in meinem Leben relevant ist? Das kann ja sehr unterschiedlich aussehen, ich mag die Zuhörer nicht ihrer subjektiven Wahrnehmung berauben, indem ich konkrete Themen setze. Ich will ihnen nichts aufdrängen.

Wie findest Du dann die Titel für Deine Stücke?

Ich versuche immer Titel zu wählen, die mindestens zweideutig sind, wo sich viel reininterpretieren lässt und die sehr offen sind, sodass jeder seinen eigenen Bezug finden kann.

Zu welchem Zeitpunkt im Kompositionsprozess fällt die Entscheidung für einen Titel?

Oft habe ich die Titel schon am Anfang im Kopf, meistens werden das dann auch die besseren Stücke, wenn ich von Anfang an weiß, wie es heißen wird. Wenn ich am Ende des Stückes keinen Namen habe, scheint auch das Stück nicht sehr prägnant geworden zu sein. Häufig habe ich auch Arbeitstitel, manchmal sogar zwei oder drei, und dann merke ich im Laufe des Komponierens, welcher Titel wirklich passt, worum es in der Musik geht.

Arbeitest Du parallel an mehreren größeren Werken?

Ja, durchaus. Ich werde jetzt auch zwei Stücke parallel schreiben. Das ist sehr gesund, weil man immer wieder Pausen zum Nachdenken machen muss, finde ich. Und die kann man dann gleich für ein anderes Stück nutzen. Das ist erfrischend, weil Stücke einem auch, so wie Menschen, irgendwann auf die Nerven gehen. Da ist ab und an eine Pause notwendig, etwas Abstand. Dann freue ich mich wieder, daran weiterzuarbeiten. Es ist immer ganz wichtig, dass ich zwei Schreibtische habe, damit die Stücke dann wirklich ruhen dürfen, auf ihrem eigenen Schreibtisch. Wenn man die Papiere zusammenpacken und wegpacken muss, dann wäre das ganz weg, verschlossen, dann ist das nicht mehr in der Luft, die es für die Entwicklung braucht. Dieser Schwebezustand ist wichtig.


Sarah-Isabel Conrad, Bereichsleitung Kommunikation, sprach im April 2020 per Skype mit Lisa Streich in ihrem schwedischen Zuhause.