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#Auslandsaufenthalt #Community #Wissenschaft #WissensWerte

#WissensWerte: Wunsch, Wirklichkeit und Wachstum: drei Master Plus-Geförderte über ihre Studienaufenthalte in den USA

Finja Feddes, Programmltg. Master Plus, im Gespräch mit Jona Negwer, Crispin Scholz & Yulian Strus

Jona Negwer absolvierte seinen Bachelor in Wirtschaftspsychologie an der Rheinischen Hochschule Köln. Derzeit studiert er im Master Management an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) in Nürnberg mit den Schwerpunkten Strategisches Management und Entrepreneurship. Für seinen Auslandsaufenthalt wählte er das MBA-Programm der University of Tampa, Florida, am Sykes College of Business.

Crispin Scholz studierte im Bachelor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin Business Communication Management. Seinen Master in Management absolviert er an der Universität Mannheim. Er verbrachte sein USA-Auslandssemester an der Pepperdine University in Malibu, Kalifornien, einer Partnerhochschule seiner Heimatuniversität, und nahm dort am Programm Master of Business Administration (MBA) teil.

Yulian Strus schloss zunächst seinen Bachelor in Internationaler Betriebswirtschaftslehre an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder ab. Für ihn folgte ebendort ein Master in International Business Administration. Inzwischen arbeitet er als Associate in der Abteilung International Tax Services bei PwC WPG GmbH. Sein Auslandssemester in der letzten Phase seines Studiums verbrachte er an der University of Texas in Austin.


Finja: Herzlich willkommen, Crispin, Jona und Yulian! Ich freue mich, mit euch Dreien gemeinsam über eure Auslandsaufenthalte ins Gespräch zu kommen. Warum sollten es bei euch allen unbedingt die USA sein? Wie habt ihr euch für die verschiedenen Bundestaaten und Universitäten entschieden?

Crispin: Ich gehe davon aus, dass in meinem Leben die Beziehung zwischen Deutschland und den USA langfristig eine Rolle spielen wird, ich sehe weiterhin großes Potenzial in der transatlantischen Zusammenarbeit, sowohl weltpolitisch als auch wirtschaftlich. Während meines Bachelorstudiums habe ich bereits ein Semester in Chicago verbracht, in Kalifornien wollte ich nochmal einen anderen Teil der Vereinigten Staaten genauer kennenlernen.

Finja: Jona, du bist als Freemover in die USA gegangen, hast dir also deinen Studienplatz frei gesucht, weil es keine passende amerikanische Partneruniversität seitens deiner deutschen Universität gab.

Jona: 2023 war ich zum ersten Mal für zwei Wochen in den USA, in San Diego, und ich habe mir intensiv die Programme der verschiedenen Hochschulen angeschaut. Da bei mir aber auch die Studiengebühren relevant für die Entscheidung waren, kamen am Ende vier bis fünf Universitäten infrage.

Yulian: Ich habe schon immer davon geträumt, in die USA zu gehen. Ich wollte in ein Land, in dem ich die Sprache bereits beherrsche, um vom ersten Tag an wirklich tief eintauchen und mich mit den Locals austauschen zu können. Da ich bereits während des Studiums bei PwC als Werkstudent gearbeitet habe und das Netzwerk in den USA breit vertreten ist, lag die Entscheidung für die USA außerdem nahe. Ich wollte den American Dream mit eigenen Augen sehen und erleben. Gibt es eine Work-Life-Balance oder eher eine Work-Work-Balance? Das wollte ich auch hinsichtlich meiner Karriereplanung herausfinden.

Finja: Und warum bist du nach Texas gegangen?

Yulian: Das dortige Curriculum gilt als eines der besten. Die Größe der Universität ermöglichte mir eine breite Perspektive auf Wirtschaft und Gesellschaft, Austin war dafür exzellent. Zum Beispiel hat die dortige Universität das beste Programm für Professional Accounting, das entspricht ungefähr dem Fachgebiet der Steuerberatung in Deutschland.

"Früh anfangen und darauf vertrauen, dass es funktionieren wird!"

Finja: Wie seid ihr an die Vorbereitungen für das Auslandssemester herangegangen? Wie viel Vorlauf gab es für die Organisation, welche Schritte waren wichtig? Gab es besondere Herausforderungen und Dinge, die besonders hilfreich waren?

Jona: Da meine Heimatuniversität keine passende Austauschmöglichkeit bot, habe ich mich selbst um alles gekümmert. Ich wusste, dass es sehr schwer werden würde, weil die amerikanischen Studiengebühren und auch die Lebenshaltungskosten enorm hoch sind. Ohne finanzielle Unterstützung wäre es für mich nicht möglich gewesen, das Semester in den USA zu bestreiten. Großartigerweise hat die Claussen-Simon-Stiftung mich finanziell unterstützt. Dennoch reichte auch das inklusive meiner Ersparnisse noch nicht. Glücklicherweise erreichte mich dann noch die Zusage für ein Fulbright-Stipendium, für das ich mich zusätzlich beworben hatte – allerdings erst, als bei einigen meiner Wunsch-Unis die Bewerbungsfristen bereits abgelaufen waren. In Tampa hat es zum Glück gerade noch so gereicht. Aber der Aufwand war riesig: Beispielsweise mussten alle Bildungseinrichtungen, die ich bisher besucht hatte, ein Zeugnis einreichen. Dann musste ich noch den TOEFL-Test ablegen. Zum Glück war die University of Tampa sehr zuvorkommend, ich hatte für meine Bewerbung einen persönlichen Ansprechpartner. Das ist der Vorteil der hohen Studiengebühren, es sind mehr Kapazitäten vorhanden, um eine enge Betreuung zu leisten.

Finja: Wie war es bei euch, Crispin und Yulian? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?

Yulian: Ursprünglich wollte ich für einen kürzeren Forschungsaufenthalt nach Berkeley gehen, das hat aber unter anderem wegen des hohen Zeitdrucks, der kurzen Aufenthaltsdauer und der direkt anschließenden Masterarbeit nicht geklappt. Die Förderzusage der Claussen-Simon-Stiftung habe ich im Frühjahr erhalten, ab August wollte ich in den USA sein. Daher war nicht viel Zeit für die Planung – ohne diese Finanzierung hätte ich nicht gehen können. Ich musste sehr schnell den TOEFL Test ablegen und viele Impfungen nachholen. Die Wohnungssuche war herausfordernd, aber meine Kommiliton:innen vor Ort haben mir dabei sehr geholfen.

Crispin: Die Planung eines solchen Aufenthalts ist sehr aufwändig. So habe ich auch bei der Wahl meines Masterstudienplatzes in Deutschland bereits die Möglichkeit eines weiteren Auslandssemesters mitgedacht. An der Universität Mannheim gab es einige interessante Austauschplätze, aber die Konkurrenz war  groß. Bei der Bewerbung auf das Auslandssemester hat sich herausgestellt, dass es an der dortigen Universität tatsächlich nur einen einzigen Platz gibt. Ich habe auch ein bisschen gepokert und daran geglaubt, dass sich Möglichkeiten auftun werden. Ein bisschen Glück ist immer dabei! Deshalb mein Tipp: früh anfangen und darauf vertrauen, dass es funktionieren wird. Ich hatte mich frühzeitig auch für ein Fulbright-Stipendium beworben, das mir auch zuerkannt wurde. Das hat mich bei der Organisation des Auslandsaufenthalts natürlich sehr gestärkt.

"Ich habe Freundschaften geschlossen, die auch jetzt noch Bestand haben."

Finja: Wie blickt ihr jetzt auf eure Zeit in den USA zurück? Haben sich eure Vorstellungen und Erwartungen erfüllt?

Yulian: Bei mir definitiv ja. Ich habe erwartet, dass sich mein Leben ändert. Und das hat es. Die Amerikaner haben traditionell eine sehr interessante Debattenkultur. Ich habe versucht, mir davon viel anzueignen, und mich für den Speaking Club beworben, den ich jetzt auch in anderer Form in Deutschland weiter besuche. Dann natürlich die englische Sprache, die ich mir viel mehr zu eigen gemacht habe. Und der Sport an der Universität hat mich sehr weitergebracht. Ohne Sport kann ich gar nicht mehr leben.

Jona: Bei mir ist es ähnlich. Ich durfte großartige Menschen kennenlernen. Ich habe mit drei anderen Amerikanern in einer WG zusammengewohnt. Dadurch war ich nicht in der Bubble der Austauschstudierenden gefangen, was mir sehr wichtig war. Direkt am ersten Tag hat einer meiner Mitbewohner mir mit seinem Auto Tampa gezeigt, und am nächsten Tag haben wir schon zusammen Geburtstag gefeiert. Insgesamt habe ich gute Erfahrungen mit den Menschen in Florida gemacht, jeder hat Lust, sich zu unterhalten, alle sind interessiert. Ich wurde viel zu Deutschland befragt und habe Freundschaften geschlossen, die auch jetzt noch Bestand haben.

Crispin: Ich fand es sehr inspirierend, wie sehr die Amerikaner an Potenzial glauben. Sie lassen sich nicht zurückhalten von kleineren Problemen oder Rückschlägen und schauen immer positiv nach vorn, offen für alle Möglichkeiten, die sich bieten. In Deutschland neigen wir mehr zum Grübeln und Sorgen machen, alles wird sehr detailliert geplant. Im Nachhinein stellt sich aber dann häufig heraus, dass das gar nicht nötig gewesen wäre. In den USA ist vieles mit mehr Leichtigkeit und weniger Druck verbunden.  Überzeugt von etwas zu sein und andere dafür begeistern zu können, ist meines Erachtens entscheidend für Erfolg und Fortschritt. Das habe ich in den USA oft erlebt und für mich mitgenommen.

Finja: Man spürt noch immer eure Begeisterung. Aber gab es auch Dinge, die schwierig oder ernüchternd waren oder die euch überrascht haben?

Yulian: Mich hat die hohe Obdachlosenquote erschreckt.

Jona: Der Zugang zu Bildung ist nicht so selbstverständlich, Stichwort Studiengebühren. Ich habe von vielen Freunden gehört, dass ihre Eltern Kredite aufnehmen, damit sie studieren können. Das finde ich extrem befremdlich, gerade im Vergleich zu Deutschland. Deshalb schließen viele auch keinen Master an ihren Bachelor an, weil es einfach nicht finanzierbar ist. Tampa ist eine Stadt, die wahnsinnig wächst und wo sich gerade viele Unternehmen ansiedeln. Dadurch steigen die Mieten drastisch und viele müssen wegziehen. Auch der Campus der Uni wird stark erweitert, Wohngebäude werden von neuen Studierendenwohnheimen verdrängt. Das finde ich erschreckend.

Crispin: Ich glaube, wir alle drei haben an sehr teuren Orten in den USA gelebt. In Südkalifornien war das Preisniveau noch mal höher, als ich erwartet hatte – auch für die Lebensgrundlagen. Mieten, Dinge des täglichen Bedarfs, das alles war fast dreimal so teuer wie in Deutschland. Ich finde es wichtig, darüber nachzudenken, denn ein solches Preisniveau beeinflusst ja, wie eine Gesellschaft funktioniert. Der soziale Rückhalt ist in den USA, wenn er nicht durch persönliche Beziehungen gewährleistet wird, staatlich längst nicht so garantiert wie in Deutschland.

"Die Lehre in den USA hat einen größeren Praxisbezug als in Deutschland."

Finja: Wie habt ihr die Lehre und das Lernen an euren Austauschuniversitäten wahrgenommen?

Crispin: Die Lehre in den USA, wie ich sie erlebt habe, hat einen größeren Praxisbezug als in Deutschland. Das habe ich als sehr inspirierend empfunden. Gleichzeitig ist natürlich die Kombination am besten: viel theoretische Auseinandersetzung plus hohe praktische Relevanz. Viele der Professor:innen kamen selbst aus der Praxis, waren wirklich begeistert von ihrem Thema. Einer meiner Professor:innen hat eine Karriere an der Wall Street hinter sich, er hatte einen eigenen Hedgefonds aufgebaut, berät jetzt Family Offices und ist nebenher Professor. Er hat die Begeisterung für sein Fach einfach verkörpert und war umso begeisterter, wenn ihm das von den Studierenden gespiegelt wurde. Ich hatte viele anregende Gespräche mit meinen Professor:innen, so hatte ich manchmal fast das Gefühl eines One-On-One-Trainings.

Jona: Mein MBA-Programm war auch sehr praxisorientiert, und auch meine Professor:innen waren sehr motiviert, waren selbst Unternehmer und haben ihren riesigen Erfahrungsschatz geteilt. Per WhatsApp konnte man beispielsweise jederzeit Kontakt aufnehmen. Sie setzen nicht so stark auf wissenschaftliche Standards wie in Deutschland. Das hat mich erstmal sehr verwundert. Sie haben uns ermutigt, einfach Dinge auszuprobieren. Am Ende zählte das Ergebnis. Der Weg dorthin war nicht so relevant. Das hat sicher Vor- und Nachteile, aber es ist eine erfrischende Perspektive.

Yulian: Genau solche Professor:innen hatte ich auch, mit jahrelanger unternehmerischer Erfahrung. Hands-on steht sehr im Vordergrund, kombiniert mit fachlichen oder historischen Informationen. An meiner deutschen Uni resultierten die Noten aus einer, höchstens zwei Einzelleistungen. In den USA erbringt man mehrere Assignments, dadurch verringert sich der Druck. Das macht es allerdings auch schwieriger, überdurchschnittlich gut abzuschneiden.

Finja: Wie habt ihr Leistung zeigen müssen im Laufe dieser vier Monate?

Yulian: In meinen Managementkursen habe ich fast alle zwei Wochen Präsentationen gehalten und dadurch auch meine rhetorischen Fähigkeiten verbessert. Ich hatte aber auch Kurse, in denen ich Essays schreiben oder Midterm-Prüfungen ablegen musste.

Jona: Man musste schon dauerhaft am Ball bleiben. Aus Deutschland kenne ich es so, dass viele gegen Ende des Semesters noch mal richtig intensiv lernen müssen. In den USA hat sich meine Note aus fünf Teilen zusammengesetzt. Das waren drei Zwischenprüfungen, meistens Präsentationen, und am Ende noch eine Hausarbeit. Mit 20 Prozent zählte aber auch das Engagement während des Kurses. Ich hatte das Gefühl, dass es durch diese Teilung einfacher ist, zu bestehen. Aber umso schwerer wird es, Topnoten zu erzielen, weil man in jedem Bereich sehr gut abschneiden muss. Bei den Studierenden wird am Ende jeden Semesters der Notenspiegel angeschaut. Wenn man ein gewisses Niveau nicht halten konnte, war man verpflichtet, an Aufbaukursen teilzunehmen. Für mich galt das nicht, weil ich nur ein Semester dort war.

Crispin: Die Leistungserbringung unterteilte sich oft in mehrere Prüfungen, Gruppenprojekte, Präsentationen und schriftlichen Abgaben. So hatte man das Gefühl, auf vielfältige Weise geprüft zu werden.

Finja: Wovon können sich deutsche Hochschulen eine Scheibe abschneiden und umgekehrt?

Crispin: Ich würde hier den Praxisbezug und die aktive Mitarbeit betonen. Diese Art der Mitarbeit ist in den USA aber allein aufgrund der Kursgröße deutlich besser möglich: Statt 200 Studierenden sitzen dort oft nur 20 in einem Raum. Auch wenn mir der große Praxisbezug sehr gefallen hat, so habe ich das Gefühl, dass die inhaltliche Tiefe in meinem Masterstudium in Mannheim insgesamt größer war.
Jona: Mir ist klargeworden, dass in Deutschland der Stoff insgesamt besser und tiefergehend durchgenommen wird, in den USA musste man ganze Bücher selbstständig durcharbeiten, um mitreden zu können. Da wurde dann etwas vorausgesetzt, was aber häufig gar nicht mehr weiter behandelt wurde, weder im Praxisprojekt noch in den Vorlesungen. Die praktische Anwendung von theoretischem Wissen würde ich mir in Deutschland mehr wünschen.
Yulian: Ich finde auch, dass die deutschen Curricula mehr Projektkurse vertragen könnten, um das freie Denken zu fördern und auf Augenhöhe Ideen zu diskutieren.

"Eine Bubble nur mit Austauschstudierenden gab es nicht."

Finja: Wie war es für euch als internationale Studenten in den Kursgruppen? Habt ihr euch auf Anhieb integriert gefühlt? Oder haben die Internationals eher eine Bubble für sich gebildet?

Jona: Ich war von Anfang an voll integriert. Es war eher eine Art Klassenverband, man kannte sich gegenseitig schnell beim Namen, an den deutschen Unis sind die Seminare und Vorlesungen ja häufig viel größer und unpersönlicher. Ich hatte auch ein sehr internationales Projektteam. Jeder arbeitete etwas anders, aber am Ende war das Gesamtergebnis ziemlich gut.

Yulian: Die Kurse waren sehr durchmischt, und sehr oft war ich auch der einzige International in einem Kurs. Eine Bubble nur mit Austauschstudierenden gab es nicht.

Crispin: Meine Universität hat viel dafür getan, dass die internationalen Studierenden zusammenhalten. Dadurch entsteht dann gleich eine Gruppe, die gemeinsam viel unternimmt. Alles andere liegt in der eigenen Hand. Ich habe es als sehr einfach empfunden, sich zu integrieren, man wird sehr positiv aufgenommen. Ich habe auch Kurse abseits der typischen Curricula für Internationals belegt, allein dadurch war ich dann dort meistens der einzige Nicht-Amerikaner. Insgesamt konnte ich während meiner Zeit viele Amerikaner kennenlernen.

Finja: Inwiefern hat euch euer Auslandssemester akademisch geprägt? Welchen Stellenwert nimmt es jetzt in eurem gesamten Studium ein?

Yulian: Für mich war sehr gewinnbringend, dass ich so viele Präsentationen halten musste. Das hat mich rhetorisch und sprachlich unheimlich vorangebracht, und davon profitiere ich auch jetzt im Beruf. Ich konnte auch viele Erfahrungen im Schriftlichen auf Englisch sammeln, was sich jetzt bei mir im Arbeitsalltag auszahlt.

Crispin: Ich habe sehr viel von der Arbeitsweise und dem Selbstbewusstsein der Amerikaner mitnehmen können. Allein aufgrund der großen Menge an Leistungserbringungen, welche die Kurse forderten, musste man auf Perfektion verzichten. Dabei hat man aber gemerkt, dass das nicht unbedingt zu einem schlechteren Ergebnis führt. Das war ein wichtiger Lerneffekt: Dinge pragmatischer angehen und dann aber doch mehr erreichen. Durch die große Anzahl an Gruppenprojekten habe ich außerdem meine Führungskompetenz weiter schärfen können.

Jona: Bei mir war es auch so, dass ich vor allem meine Führungs- und Teamqualitäten stärken konnte, eben durch die Projektarbeit und die dortige Zusammenarbeit mit Unternehmen oder Personen aus der Wirtschaft. Ich verstehe jetzt besser, wie Amerikaner ihre Unternehmen aufbauen, mit welchem Mindset sie an diese Dinge herangehen. Davon verspreche ich mir auch etwas für meine berufliche Karriere, die ich im internationalen Kontext sehe.

"Der Campus ist nicht einfach nur ein Ort zum Studieren, der Campus stellt den Lebensmittelpunkt dar."

Finja: Einen wichtigen Teil der Auslandserfahrung macht auch das Campusleben aus. Wie habt ihr das erlebt?

Jona: Im Vergleich zu deutschen Universitäten wirkte mein Campus fast wie ein Country Club oder ein All Inclusive-Hotel. Es gab jede mögliche Sportanlage, die Uni in Tampa hat drei Stadien, Beachvolleyballplätze, zu denen jeder Zugang hatte, einen eigenen Pool. Es war wirklich faszinierend. Fast alle Sportarten sind vertreten, selbst Spike Ball, in vielen Fällen auf Profi-Niveau. Ich habe beim Fußballteam bei einem Auswahltermin mitgemacht. Da gab es insgesamt über 280 Studierende, die sich auf dieses Team beworben hatten. Von denen wurden am Ende nur 30 genommen. Ich habe tatsächlich ein Angebot bekommen, mich aber schweren Herzens dagegen entschieden, als ich erfahren habe, dass das eine große Verpflichtung ist, mit Spielen an jedem Wochenende. Für die vier Monate war mir das zu viel, denn ich wollte natürlich auch noch Wochenendausflüge machen, andere Dinge sehen und erleben. Wäre ich länger in den USA gewesen, hätte ich das Angebot sehr gern angenommen.

Yulian: Man kann direkt nach den Vorlesungen in die Schwimmhalle, alles ist nur ein paar Minuten entfernt vom Hörsaal. Das American-Football-Stadion in Austin ist eines der größten der Welt und liegt direkt am Campus der Universität in Austin. Für mich bedeutet das Work-Life-Balance, im Sinne von: die Zeit sehr effizient zu nutzen. Es gibt Dutzende von Clubs auf dem Campus, auch für wohltätiges Engagement. Darüber sind dann zum Beispiel Aufenthalte in Ländern wie Indien oder Mexiko möglich, je nach Zweck.

Jona: Das war bei mir genauso, an fünf von sieben Tagen war man nur auf dem Campus, weil dort einfach das gesamte Leben stattfindet. Man kann dort Sport machen, essen, entspannen, man hat aber auch seine Rückzugsorte. Es gab wirklich alles.

Crispin: Ich musste bei Jonas Stichwort „Country Club” schmunzeln. Diesen Eindruck gewinnt man teilweise tatsächlich – und den ganzen Tag sind Gärtner am Werk. Das ist nicht einfach nur ein Ort zum Studieren, der Campus stellt den Lebensmittelpunkt dar. Ich finde, das gibt dem Ganzen auf eine interessante Weise eine Bedeutung, die in Deutschland nicht so da ist. Damit schaffen es die Universitäten, dass die Studierenden von sich aus sehr viel Zeit an der Universität verbringen, was sicher zur Identifikation und Motivation beiträgt. Das prägt das Studieren als bedeutenden Lebensabschnitt. Das könnte noch eine wichtige Ableitung auch für deutsche Universitäten sein: eine hohe Aufenthaltsqualität zu erreichen, damit man gern am Campus bleibt und damit ein Community-Gefühl entsteht.

Finja: Ihr habt, höre ich raus, alle drei mitgenommen, Hochschulen mehr als Lern- und Lebensorte zu begreifen. Ich möchte aber auch noch mit einem anderen Fokus auf den Campus schauen: Wie würdet ihr die Diversität der Studierenden und der Lehrenden reflektieren?

Jona: Bei mir war es auf jeden Fall nicht so divers wie in Deutschland. Mich hat überrascht, dass circa 50 oder 60 Prozent der Studierenden aus New York oder aus Boston kamen. Bestimmt auch wegen des guten Wetters und weil die Uni in Tampa etwas günstiger ist als die an der Ostküste.

Crispin: In Chicago hatte ich während meines Bachelor-Auslandsaufenthalts das Gefühl, dass die Studierendenschaft diverser ist, was soziale Hintergründe angeht. In Kalifornien hingegen, speziell in Malibu, war der Wohlstand der Studierenden und ihrer Familien insgesamt sehr hoch.

Yulian: Dort, wo ich gewohnt habe, hatten viele keine wohlhabenden oder sozial gut aufgestellten Familien im Hintergrund und mussten daher im Studium oder in der Navy viel leisten, um einen Anspruch auf ein Stipendium aufrechtzuerhalten. Das war für mich eine sehr positive und beeindruckende Erfahrung. Die Locals hatten vielfach chinesische und spanische Wurzeln. Bei den Internationals kamen viele aus China und Südkorea.

Finja: Wie ist es mit der Präsenz von BIPoC, also Black, Indigenous, and People of Color gewesen?

Yulian: Bei uns auf dem Campus in Austin sehr ausgeprägt!

Jona: Tatsächlich deutlich weniger als an meiner deutschen Uni. Ich hatte das Gefühl, alle hatten denselben Hintergrund. Was schade ist!

Finja: Wie habt ihr das Geschehen rund um die Präsidentschaftswahl wahrgenommen? Waren diese Debatten auf und abseits des Campus sichtbar?

Jona: Eher weniger. Ich denke, dass das daran lag, dass ich an meiner Uni in einer Bubble war, in der ziemlich viele die gleiche Meinung hatten. Ich habe versucht, viel über Politik zu reden und Meinungen zu erfragen. In meinem Umfeld haben allerdings viele Trump gewählt. Ein großer Teil davon meinte zwar, dass sie wenig von ihm hielten, aber mit dem Gouverneur von Florida sehr zufrieden sind. Das war für mich ganz neu, dass sie das so stark miteinander verbinden. Den Menschen in Florida geht es im Vergleich zu anderen Bundesstaaten sehr gut.

Yulian: Bei mir war die Diskussion rund um die Präsidentschaftswahl sehr heiß. Auf dem Campus wurde sehr aktiv dazu aufgerufen, wählen zu gehen, es gab zum Beispiel kostenlosen Kaffee oder Süßigkeiten, wenn man gewählt hat. Auch bei mir im Wohnheim wurde viel diskutiert. Die Studierenden haben meinem Eindruck nach überwiegend für Harris gestimmt. Für mich war das natürlich auch von Bedeutung, weil es Auswirkungen auf meine Heimat Ukraine haben wird.

Crispin: An meiner Uni in Kalifornien habe ich das von institutioneller und Professor:innen-Seite her als sehr neutral empfunden, was ich als sehr angenehm und wichtig empfand. Aus meiner Perspektive hat der Wahlkampf im Vergleich zu Deutschland viel stärker online stattgefunden. Im Stadtbild waren kaum Plakate oder Wahlwerbung zu sehen. In Gesprächen war das Thema aber schon sehr präsent. Der Wahltag fühlte sich ein wenig an wie ein großes Sportereignis, alle haben die ganze Zeit Prognosen am Handy gecheckt und alles mitverfolgt.

Finja: Wenn ihr jetzt noch einmal insgesamt auf euer Auslandssemester schaut: Was wird nachhaltig bleiben?

Yulian: Die Freundschaften. Die Leichtigkeit des amerikanischen Lifestyles.

Crispin: Sehr gute Freundschaften. Genauso Inspirationen für mein Leben, weil es eine intensive Zeit der Reflektion war. Und das Erlebnis der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und den USA, aber auch das Potenzial der Zusammenarbeit. Damit einher geht für mich auch die Wertschätzung für die eigene Kultur. Wenn man länger woanders ist, lernt man das eigene Land wertzuschätzen und kommt mit neuen Blickwinkeln zurück.

Jona: Mir geht es ähnlich: Neben den Freundschaften ist es die Erkenntnis, dass man gegenseitig sehr viel voneinander lernen kann. Mir ist auch nochmal besonders bewusst geworden, wie privilegiert wir hier in Deutschland eigentlich sind, wie viel fairer es hier weitestgehend abläuft, gerade auch im Hinblick auf Bildung. Bei mir an der Uni gab es sehr wenig Diversität, gerade auch hinsichtlich verschiedener sozialer Klassen. Da sehe ich in den USA auf jeden Fall noch Nachholbedarf.

Finja: Was würdet ihr anderen mit auf den Weg geben, die auch diesen Traum haben, ein Auslandssemester in den USA zu verbringen?

Jona: Auf jeden Fall frühzeitig anfangen, sich um alles zu kümmern, und daran glauben, dass es klappen wird. Nur wenn man daran glaubt und das mit voller Kraft verfolgt, schafft man es auch. Kämpfen lohnt sich. Ich hätte mir wirklich nichts Besseres vorstellen können und bin sehr dankbar für diese Erfahrung.

Crispin: Das Wichtigste ist, sich nicht von den möglichen Herausforderungen abhalten zu lassen, inklusive der finanziellen Fragen und der komplexen Organisation. Ein Auslandssemester in den USA ist wahrscheinlich schwieriger zu organisieren als beispielsweise ein Erasmus-Auslandssemester. Aber wenn ihr das Gefühl habt, dass ihr das gerne machen würdet, und wenn ihr dafür einen guten Grund habt, dann schafft ihr das auch.

Yulian: Ja, einfach machen! Und trotz der Herausforderungen auch etwas Spaß an der Selbstorganisation finden, das hilft einem auch in der Zukunft. Mich hat der gesamte Prozess sehr geprägt und vorangebracht.

Finja: Herzlichen Dank, Jona, Yulian und Crispin, dass ihr eure Gedanken und Erfahrungen so offen geteilt habt!

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