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Liebe I.! Ein Freundinnenbrief

Pauline Jacob, Alumna bei stART.up

Liebe I.,

ich sehe dich noch vor mir stehen, als wäre es gestern: Rotblonde Haare und sommerlich sommersprossig, ein langer Lulatsch mit Pferdeschwanz, der mir vorher noch nicht aufgefallen war. Du warst die beste Freundin eines Mädchens aus meinem Volleyballverein, und so konnten wir uns, trotz der sonst unüberwindbaren Hürde, dass du ein Jahrgang über mir warst, auf dem sportlichen Sportfest auf dem Sportplatz am Rande des Dorfes kennenlernen. Du hattest die coolen Schuhe an und, wie ich bald feststellte, einen coolen großen Bruder, vor allem aber schwärmtest du, wie ich, für den süßen Underdog-Bassisten aus der Underdog-Band, der schon in der 12. Klasse war und diese wahnsinnig tollen Locken hatte. Ob unsere gemeinsame Liebe für ihn unsere wechselseitige Liebe füreinander so lodernd entflammt hat?

Nach der Schule wollten wir beide ins Ausland, was bei mir klappte, bei dir leider nicht, und diese Distanz hat uns irgendwie in eine freundinnenschaftliche Krise gestürzt. Ich sehe uns beide auf dem schrecklich hässlichen Hochbett in deinem winzigen Zimmer im Erdgeschoss einer dunklen Berliner Altbauwohnung sitzen und tränenreich diskutieren und klären, was schief lief in unserer Beziehung. Es ist doch erstaunlich, wie groß unsere Abhängigkeit voneinander war und immer noch ist. Wie wichtig es war und immer noch ist, dass die Beziehung zwischen uns auf einem guten Stand ist, dass wir einander mögen, uns Priorität in unseren Leben einräumen und Zeit miteinander verbringen. Wenn eine Liebesbeziehung auseinandergeht, dann sind die Außenstehenden voller Mitleid, liefern Schokolade und gute Ratschläge, um den Herzschmerz zu meistern, stehen parat für heulende Anrufe mitten in der Nacht. Wenn es zwischen uns mal nicht gut läuft, dann habe ich den gleichen Bedarf an Tröstung von außen – sie wird mir aber nicht gewährt. Woher kommt das, dass man unserer Beziehung, die so viel länger währt als alle Liebschaften, die ich jemals hatte, zusammen, oft nicht die gleiche gefühlsmäßige Intensität zutraut? Wir haben uns einen Schutzraum miteinander gebaut, der uns Sicherheit gibt und auf den wir unser Sein immer wieder neu aufbauen können. Dabei ist es egal, wie intensiv dieser Raum in der Zeit gelebt wird, sein Vorhandensein reicht aus, um uns nicht alleine sein zu lassen. Wie kann eine Gefährdung dieses Raumes unwichtig sein?

Die Krise von damals haben wir überwunden und nach Jahren der „Fernbeziehung“ mit wechselseitigen Besuchen –  begossen mit literweise Sekt und zahllosen Zigaretten in den jeweiligen Küchen, verregneten Zeltausflügen und Wandertouren, Telefongesprächen, als das Telefonieren noch was kostete –  hatten wir die letzten Jahre das große Glück, in der gleichen Stadt zu wohnen. Hat sich unsere Freundinnenschaft dadurch verändert? Sicherlich. Es ist wunderbar, wenn man sich zum Joggen treffen kann, um dann eigentlich nur plaudernd um die Alster zu spazieren. Es ist wunderbar, jemanden im eigenen Leben und der eigenen Stadt zu haben, mit dem man selbstverständlich alles teilen kann.

Natürlich verändert sich dieses Teilen. Haben wir damals, im Dorf, noch jeden Buchstaben einer SMS („Hdgggggdl!“) bis ins letzte Detail analysiert, haben wir uns gemeinsam und über alle Maßen über „unfaire“ Lehrer*innen echauffiert und Ausgehabende länger vor unseren Kleiderschränken als auf der eigentlichen Party verbracht, so hast du nun deinen ersten Job ergattert, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen – du wolltest kein böses Omen heraufzubeschwören, was ich nachvollziehen kann. Es ist altersgemäßer für uns, eigenständiger zu werden, als wenn wir das Bewerbungsschreiben gemeinsam ausformuliert hätten, so wie die 160-Zeichen-SMS an den süß-gelockten Bassisten aus der Underdog-Band. Die wechselnden Abstände in unserer Beziehung sind notwendig für ihr Fortbestehen, sie sind unser Privileg gegenüber einer Liebesbeziehung, die in der gesellschaftlichen Vorstellung davon, wie sie zu sein hat, viel festgelegter ist. Trotzdem tat es kurz weh, die Aufregung erst im Nachhinein teilen zu dürfen.

Nach so vielen Jahren unserer Freundinnenschaft, in der wir Streitigkeiten und Eifersüchte, Konkurrenz und auch mal zu große Nähe verkraftet haben, ergibt sich nun eine neue Herausforderung für uns beide. Du warst die erste, die ich anrief, als ich erfahren habe, dass ich ein Kind bekomme, und ich weiß noch, wie du deine Reaktion, Freude oder Panik, von meiner abhängig gemacht hast. Man sagt, dass Freundinnenschaften sich verändern, wenn eine Person ein Elternteil wird. Ich glaube, das stimmt, denn schon jetzt merke ich, dass neue Themen eine neue Dringlichkeit erhalten. Gleichzeitig macht mir eine Veränderung in unserer Freundinnenschaft keine Angst mehr – die ständige Erneuerung unserer Beziehung ohne das Risiko, dass wir uns fremdverlieben könnten, ist ein weiteres Privileg gegenüber Liebesbeziehungen. Ich weiß, dass wir füreinander da sein werden und uns nicht in ein paar Jahren für eine Jüngere verlassen. Wieviel Beständigkeit kann in dieser verrückt unbeständigen Welt, gerade im Sich-Nicht-Treffen-Können während der Pandemie, doch ein Name auf einem Handybildschirm sein?

Liebste I., ich freue mich auf alle weiteren Jahre unseres Austauschs und unserer Loyalität, inklusive aller möglichen Krisen. Dass unsere Freundinnenschaft so lange überdauern und ein so stabiles Sicherheitsnetz für uns beide werden würde, wer hätte das denken können – damals auf dem sportlichen Sportfest auf dem Sportplatz am Rande des Dorfes?

Deine Pauline.

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