Zum Inhalt springen

#Kultur #Transdisziplinarität

Banden bilden.

Bea Brücker, Biodesignerin und Bildende Künstlerin, stART-up-Stipendiatin

Mittwoch, 7. Februar – Hinfahrt & Ankunft

Es ist Mittwochmorgen. Gestern waren wir noch in der Stiftung für einen Workshop, und heute geht es gleich weiter nach Falster in Dänemark. Ich bin aufgeregt, habe schlecht geschlafen. Seit 4 Uhr wache ich regelmäßig auf, habe Angst zu verschlafen und meinen Zug zu verpassen. Ich bin nervös. Ich bin momentan in so vielen Projekten involviert und dadurch so tief in der Arbeit versunken, sodass ich mich noch gar nicht darauf einstellen konnte, heute loszufahren. Gleichzeitig packt mich die Vorfreude. Ich erhoffe mir Entschleunigung und ein tieferes Kennenlernen meiner Mitstipendiat:innen. 15 Menschen in einem Haus. Ich bin gespannt, wie die Gruppe zusammenwachsen wird, wie wir gemeinsam Banden bilden. Im Zug legt sich die Nervosität augenblicklich. Wir sind zu fünft und es entstehen spannende Gespräche. Wir reden über unsere Projekte, die Herausforderungen der Selbstständigkeit und unsere Erwartungen an die Residenz. Aber auch darüber, wie unterschiedlich wir aufgewachsen sind, und über unsere Erlebnisse aus Kindheit und Jugend. Die Zeit vergeht wie im Flug und wir sind so vertieft in unser Gespräch, dass wir fast verpassen auszusteigen. Angekommen im Falsterhus, inspizieren wir erst einmal das Haus. Es ist riesig, eine ehemalige Dorfschule, und trotzdem ausgesprochen gemütlich. Beim gemeinsamen Essen herrscht eine müde, aber glückliche Stimmung. Man merkt, dass wir alle große Lust haben, uns näher kennenzulernen.

Donnerstag, 8. Februar

Wir beginnen den Tag mit Yoga und einer Meditation, angeleitet durch L. im Klavier- und Spielezimmer. Bei der anschließenden Befindlichkeitsrunde, bei der Bedürfnisse und Erwartungen an den Tag miteinander besprochen werden, hatte jede Person die Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen. Ich finde man sollte viel öfter mal in Gruppen innehalten und die Möglichkeit bieten, den aktuellen Gefühlsstand zu äußern. Würde man so nicht viel mehr Missverständnisse und Konflikte vermeiden können? Unsere Erfahrung: Vor allem lassen sich dadurch flexibel Tagespläne verändern, sodass sich alle wohlfühlen. Nach dem gemeinsamen Frühstück gehen wir zum Strand. Es riecht nach Land, nach Dung, aber auch nach Meer. Ich als Stadtkind assoziiere den Geruch sofort mit Urlaub auf dem Bauernhof an der Ostsee. Irgendwie schön, nur schade, dass es keine Tiere gibt. Zu dem Geruch würden doch ein paar Kühe und Schafe gut passen. Wir alle genießen den Spaziergang, und der Blick aufs Meer tut uns gut. So gut, dass einige von uns Bäume umarmen und für einen Moment einfach nur das Hier und Jetzt genießen. Man merkt, wie die kollektive Entspannung langsam einsetzt. Zurück im Haus, finden am frühen Nachmittag mehrere Gesprächsrunden statt. Wir besprechen einzelne Projektideen, die wir schon immer einmal umsetzen wollten. In der Gruppe geben wir Feedback und machen Vorschläge, wie die Ideen gemeinsam realisiert werden könnten. Neben den Ideen sprechen wir auch über die Herausforderung, interdisziplinär zu arbeiten. Wir rücken zusammen, und es finden sich immer mehr Leute, die sich vorstellen können, Ideen in Zukunft gemeinsam umzusetzen. Ich finde mich auf einmal in einem intensiven Austausch mit M. über Musik, Performance, Bühnen- und Kostümbild wieder. Wir besprechen Ideen, Inspirationen und Vorhaben, und auf ganz natürliche Art und Weise entwickeln sich Projektideen. Wie wunderbar, dass diese Gespräche einfach so entstehen: ohne Elevator Pitch, ohne Vorgaben, ohne Erwartungshaltung. Abends finden wir uns in einer Austauschrunde gegen das Erstarken der AfD wieder, in der wir über das Thema des aktuellen Rechtsrucks in Deutschland sprechen und wie wir damit als Künstler:innen umgehen könnten. Das Thema ist uns wichtig. Wir besprechen unsere Sorgen über die zunehmende Präsenz rechtsextremer Ideologien in der Gesellschaft und diskutieren Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung.

Freitag, 9. Februar – Kopenhagen und Louisiana-Museum

9:00 Uhr morgens. Wir haben es geschafft: Wir sitzen alle warm eingepackt im Auto und fahren zum Louisiana Museum of Modern Art nördlich von Kopenhagen. Es fängt an zu schneien. Ein paar Stunden später bin ich voll mit Kunst. Das Museum hat mich mit seiner Vielfalt und Architektur wahnsinnig inspiriert. Vor allem die Arbeiten von Firelei Báez haben mich beeindruckt. Das gemeinsame Mittagessen ist eine gute Gelegenheit, unsere noch ganz frischen Eindrücke zu besprechen. Anschließend fahren wir nach Kopenhagen. Inzwischen schneit und stürmt es heftig. Es wird ungemütlich, und wir einigen uns sehr schnell auf ein Café. Wir alle sind noch sehr inspiriert von dem Museum. Ich finde spannend, wie jede Person einen eigenen Bezug zur Ausstellung gefunden hat, sich davon individuell anregen lässt. Ich lerne viel über die Musik-, Theater- und Filmbranche. Die Rückfahrt dauert länger, da Schnee und Wind noch kräftiger geworden sind. Spreche mit L. über Nils Holgersson. Mich packt die Nostalgie, und ich nehme mir vor, das Buch zu lesen, sobald ich wieder zuhause bin.

Samstag, 10. Februar

Ich sitze unten neben dem Kamin im großen Aufenthaltsraum. Wir lümmeln uns alle auf den großen Sesseln, die Fenster sind beschlagen. Es herrscht eine allgemeine Gemütlichkeit, ein wunderbares entspanntes Miteinander, ohne dass viel geredet, viel geplant, viel organisiert werden muss. Vereinzelt ein paar Gespräche. Ich bin entspannt. Wir können miteinander ruhig sein. L. spielt auf seinem Gameboy, J. zeichnet. Jenny war für einen Tag zu Besuch und ist gerade wieder gegangen. Sie war sofort nach ihrer Ankunft Teil unserer Gruppe, mit ihr lassen sich also auch Banden bilden. Es ist schön, dass sie vorbeigekommen ist. Auch den Improvisations-Workshop mit C., P. und E. heute morgen hat sie mitgemacht. Hier haben wir spielerisch verschiedene kreative musikalische Übungen durchgeführt. Ich als eher unmusikalischer Mensch fand es wunderbar, mich musikalisch durch Improvisation und viel Humor auszuprobieren und aus meiner Komfortzone herauszutreten. Es war sehr lustig und spannend, meine Mitstipendiat:innen dabei zu beobachten, wie kreativ sie mit den Aufgaben umgingen. Am späten Nachmittag besprechen wir, wie wir nach der Residenz das Zusammenarbeiten fördern könnten und uns weiterhin voneinander inspirieren und unsere Erfahrungen und Fähigkeiten miteinander teilen – Stichwort „Banden bilden“, unser Motto für die Residenz. Wie können wir über das Förderjahr hinaus Kontakt halten? Der Wunsch, auch nach dem stART.up-Stipendium weiter in Kontakt zu bleiben, ist bei uns allen groß. L. schlägt die Bildung eines Stammtisches vor, um den Austausch und die Zusammenarbeit auch langfristig zu unterstützen. Zusätzlich wird auch über die Einrichtung eines digitalen Forums gesprochen, in dem wir uns weiterhin über unsere aktuellen Projekte auf dem Laufenden halten, uns aber auch über Themen darüber hinaus austauschen können. Der gemütliche Abend entwickelt sich zur Karaoke-Nacht. Auf einmal herrschen wieder Leben und Energie im Raum, wir lassen uns alle mitreißen und es werden einige Hits zum Besten gegeben.

Sonntag, 11. Februar – Abreise

Schade, dass wir heute schon fahren. Ich bin voller neuer Eindrücke, habe so viel über die andern und von ihnen gelernt, dass es schwerfällt, diesen Ort zu verlassen und in den Alltag zurückzukehren. In dieser kurzen Zeit sind wir alle wirklich zusammengewachsen und haben uns auf einer ganz neuen Ebene kennengelernt.

Artikel kommentieren

Kommentare sind nach einer redaktionellen Prüfung öffentlich sichtbar.