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#Wissenschaft

Nachhaltigkeit, Künstliche Intelligenz und weshalb dies kein rein technisches Thema ist.

Dr. Deniz Sarikaya, Alumnus bei Dissertation Plus

Wenn wir über Künstliche Intelligenz (KI) und Nachhaltigkeit nachdenken, denken wir zuerst (und zurecht!) an Stromverbrauch, Wasserverbrauch und Ressourcen. Das Verhältnis von KI und Nachhaltigkeit ist jedoch viel komplexer und schwer abzusehen, zumal auch Nachhaltigkeit breiter gedacht werden kann, als wir es häufig tun.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass KI überall ist. Als transversale Technologie verändert sie unsere Arbeitswelt, unsere Bildung und Freizeit. KI ist jedoch auch viel mehr, als wir häufig denken: Recommendersysteme, die uns vor unserem Streamingdienst oder beim Online-Shopping passende Angebote machen (frei nach dem Motto: „… könnte Sie auch interessieren“), designte Algorithmen, die entscheiden, ob wir einen Kredit (und zu welchen Konditionen) bekommen sollten – und zunehmend auch generativ! So wurde auch dieser Text von einer KI korrekturgelesen (der Prompt: „Bitte korrigiere den folgenden Text, bitte ändere nur wirkliche grammatikalische Fehler und Typos, ändere nichts am Inhalt oder Stil. Bringe die Zitate am Ende ins APA Format“, gefolgt von der Rohversion dieses Textes).

Hier wollen wir vornehmlich über den letzten Anwendungsfall nachdenken – aus zwei Gründen:

Zunächst stellen wir fest: Generative KI frisst viel Energie. Sie basiert auf neuronalen Netzen. Die Details sollten Sie an einer anderen Stelle einmal genau ansehen, in aller Kürze aber auch hier: Dies sind heutzutage riesengroße Graphen mit unglaublich vielen Verbindungen ihrer Knotenpunkte. Die Anzahl geht hierbei in die Milliarden. Diese Netzwerke verbrauchen nun zweifach Strom:
Die Gewichtung der Verbindungen wird entlang der Trainingsdaten angepasst. Dieser Prozess ist energetisch aufwändig. Bayern Innovativ schreibt, dass „[w]ährend der 34 Tage des Trainings von ChatGPT-3 […] 1,287 Millionen kWh Strom bezogen [wurden]“ (Bayern Innovativ, 2025). Bei ChatGPT-4 waren es schon 16,5-mal so viel (ebd.). Ein Durchschnittshaushalt in Deutschland verbrauchte 2021 3.383 kWh im Jahr (Statistisches Bundesamt, 2023). Hinzu kommen die Kosten für die eigentliche Nutzung. Das Netz muss aktiviert werden, und jedes einzelne Token (in etwa: jedes Wort) des Outputs wird einzeln prognostiziert. Dabei wird der Prompt mit dem bisher erzeugten Text in das Netz geworfen, und der Apparat rechnet. Zahlen wie das 30-Fache an Stromverbrauch im Vergleich zu einer Anfrage bei einer Suchmaschine kursieren im Netz (Göpfert, 2023).

Wie viel Energie nun tatsächlich in Zukunft verbraucht wird, ist schwer zu sagen. Einerseits machen Innovationen das Problem geringer. Beispielsweise erforschen wir heutzutage, wie man kleinere, sehr performante Modelle aus den großen „destillieren“ kann. Das würde den Verbrauch in der Nutzung reduzieren. Auch das Training selbst verbessern wir und machen es effizienter. Andererseits gibt es hier Probleme, die wir aus der Nachhaltigkeitsforschung kennen: Feedback-Loops. Wenn Motoren besser wurden, wurden Autos größer. Mit besserem Training könnten Modelle einfach größer werden. Und es gibt auch andere Punkte, die die Modelle eher ökologisch teurer machen könnten.

Das „More-Data-Paradigma“ – Modelle mit vielen Daten im Training zu füttern – wurde auch dadurch abgelöst, KIs länger „denken zu lassen“ – also mehr Rechenzeit pro Anfrage freizugeben. Hinzu kommen „agentic“ KIs: KIs, die selbst Zwischenschritte übernehmen und (mehr oder weniger) eigenständig in der Welt agieren. Diese Zwischenschritte sind aber de facto auch weitere KI-Anfragen. Open AI (2025) schreibt so beispielsweise zu ihrem Deep-Research-Feature man habe so “An agent that uses reasoning to synthesize large amounts of online information and complete multi-step research tasks for you”. Es sollte evident sein, dass dies über den Aufwand einer einzelnen Anfrage hinaus geht. Der zweite Punkt ist natürlich, dass die Nutzung zuzunehmen scheint. Tools werden besser in unseren Workflow integriert, und mein Textverarbeitungsprogramm fragt mich ständig, ob ich nicht eine KI auf diesen Text loslassen möchte.

So ist es kein Wunder, wenn die Tagesschau berichtet, dass Google einen Vertrag für kleine Atomkraftwerke unterschrieb (Tagesschau, 2024), und von einer Studie von McKinsey & Company berichtet, die davon ausgeht, dass KI im Jahr 2030 rund 5 Prozent des europäischen Stromverbrauchs ausmachen könnte (Tagesschau, 2024).

Jetzt könnte man dem Ganzen entgegnen: Aber KI könnte auch helfen – Prozesse effizienter machen, beim Tracking von ökologischen Faktoren helfen und sogar wissenschaftliche Revolutionen befeuern. Und auch hier ist durchaus etwas dran. Das bringt uns aber zu einem ganz anderen wichtigen Punkt, bei dem auch die Geisteswissenschaften etwas zu sagen haben:
Nachhaltigkeit ist kein technisches Problem, es ist ein sozio-technisches. Es kommt darauf an, was wir wofür wie nutzen. Dies bringt uns noch einmal zum zweiten Grund, weshalb wir über den Prompt nachdenken sollten: Was macht die KI mit unseren epistemischen Praktiken? Ist dieser Blogbeitrag schlechter geworden? Habe ich diesen Text danach noch einmal korrekturgelesen und sichergestellt, dass zum Beispiel kein Zitat abgeändert wurde (ja, habe ich – und auch nochmal jemand Drittes – danke, Mira!)?

Nachhaltigkeit wird in ihrem Drei-Säulen-Modell oft als ein Zusammenspiel von Ökologie, Soziologie und Wirtschaft verstanden. Wir müssen uns fragen: Wofür wollen wir KI? Was sind wir bereit, für sie aufzugeben, und was dürfen wir nicht aufgeben?

Dies eröffnet viele Fragen in den Dimensionen Privatheit, Regulatorik – und letztlich kommen wir weg von technischen, lokalen Optimierungen zu den großen Fragen des Menschen. Zu groß ist sonst die Gefahr, dass einzelne Gruppierungen ausgeschlossen werden – sei es durch Zugang oder durch Biases –, dass der Energieverbrauch wirklich zu hoch wird, und dass Haushalte in der Nähe von Rechenzentren einfach kein Wasser bekommen oder wir die Klimakrise weiter befeuern. Hinzu kommen Fragen, ob KI zu sehr zu Monopolen neigt (Stichwort: Null-Grenzkosten-Ökonomie und die Dominanz der besten Modelle). Wir am Ethical Innovation Hub der Universität zu Lübeck denken insbesondere, dass wir sogar eine vierte Säule der Nachhaltigkeit brauchen, die epistemische. Wir müssen uns zum Beispiel auch darüber Gedanken machen, wie KI in der Bildung wirkt und wie sie mit kritischem Denken zusammenhängt. Deshalb sprechen wir (Christian Herzog und ich) zum Beispiel auf der Sustainable AI Conference 2025 im September in Bonn darüber, weshalb es auch eine Nachhaltigkeitsfront ist zu sichern, dass
(a) Wissensspeicherung, -verbreitung und -produktion inklusiv und partizipativ gestaltet werden,
(b) Wissen intersubjektiv anfechtbar bleibt und
(c) Informationsökosysteme so gestaltet werden, dass sie andere öko-soziale Nachhaltigkeiten nicht beeinträchtigen.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Wir dürfen uns von einzelnen, der Nachhaltigkeit gedachten Initiativen nicht blenden lassen – müssen aber gleichzeitig die Potenziale nutzen. Es reicht also nicht, den Fortschritt zu verteufeln. Denn er wird kommen. Die Fragen und Probleme gehen uns alle an – sie sind sowohl technischer als auch sozialer Natur – und wir müssen uns immer einmischen.

Dr. Deniz Sarikaya hat zu diesem Thema einen Workshop auf dem Alumni:aetreffen 2025 gehalten.


Literaturverzeichnis

Bayern Innovativ. (2025, 04. Mai 2025) Stromfresser KI: So viel soll Chat GPT gebraucht haben. https://www.bayern-innovativ.de/detail/stromfresser-ki-so-viel-soll-chat-gpt-gebraucht-haben/

Brandstett, T. (2023). ChatGPT vs. Googeln: Der massive Stromverbrauch der KI ist ein Problem. Neue Züricher Zeitung. https://www.nzz.ch/technologie/chat-gpt-vs-googeln-der-massive-stromverbrauch-der-ki-ist-ein-problem-ld.1774379

Göpfert, A. (2024, 15. Oktober). KI-Boom: Warum kauft Google jetzt Mini-Atomkraftwerke? Tagesschau. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/faq-google-atomkraft-energie-ki-boom-100.html

OpenAI (2025, 2. Februar). Introducing deep research.  https://openai.com/index/introducing-deep-research/

Statistisches Bundesamt. (2023). Stromverbrauch privater Haushalte. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Umwelt/UGR/private-haushalte/Tabellen/stromverbrauch-haushalte.html

Tagesschau. (2024, 01. November). Studie: KI könnte 2030 fünf Prozent des EU-Stromverbrauchs ausmachen. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/kuenstliche-intelligenz-energieverbrauch-100.html

Alle Quellen wurden am 14.05.2025 abgerufen.

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