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#Auslandsaufenthalt #Wissenschaft

Auf dem Weg zum Frieden – Auslandspraktikum in Bogotá

Mareen Schröder, Alumna bei Master Plus

Ich bin Mareen Schröder und studiere im Master Atlantic Studies in History, Culture, and Society an der Leibniz Universität Hannover. Mein Studium ist sehr interdisziplinär ausgerichtet und versucht unter anderem mit Ansätzen der Geschichts-, Sozial-, Sprach- und Kulturwissenschaften, Beziehungen im atlantischen Raum, also zwischen den Kontinenten Afrika, Europa und den Amerikas, hinsichtlich sozialer und politischer Strukturen sowie Machtverhältnissen zu untersuchen. Für mich war deshalb von vornherein klar, dass ich einen Auslandsaufenthalt in Form eines Praktikums in mein Studium integrieren möchte, um so die Möglichkeit zu haben, die gelernte Theorie des Studiums in der Praxis anzuwenden. Seit Januar 2023 mache ich nun ein Praktikum in einem Friedensinstitut in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens.

Dies ist bereits mein dritter längerer Aufenthalt in Kolumbien, einem Land, welches mich gefesselt hat. Nach meinem Abitur absolvierte ich 2016 einen Freiwilligendienst mit dem weltwärts-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Villavicencio, einer Stadt am Fuß der Anden. Auch wenn ich das Konzept von Freiwilligendiensten in Ländern des globalen Südens rückblickend kritisch betrachte, hat mir diese Erfahrung viele Türen für meine Zukunft geöffnet. Denn 2016 war nicht nur für mich ein wegweisendes Jahr, sondern auch für Kolumbien: In diesem Jahr unterschrieben die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla nach 52 Jahren Bürgerkrieg einen Friedensvertrag, um den bewaffneten Konflikt des Landes zu beenden. Seitdem gilt es, diesen jahrzehntelangen Konflikt aufzuarbeiten, Ex-Kombattant:innen in die Gesellschaft zu reintegrieren und die Bevölkerung zu versöhnen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn das Land ist tief gespalten und Ursachen des Konflikts wie extreme soziale Ungleichheit und Landverteilung halten weiterhin an.

2016 wurde auch das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ (Instituto Colombo-Alemán para la Paz) gegründet, bei dem ich noch bis Ende Juni 2023 mein Praktikum absolviere. Das Institut begleitet den kolumbianischen Friedensprozess und ermöglicht den Austausch zwischen Wissenschaftler:innen deutscher und kolumbianischer Universitäten, die zu Themen rund um Frieden und Konflikt forschen. Außerdem organisiert das Institut Veranstaltungen, die zur politischen Bildung beitragen und den Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ermöglichen.

Als ich also das erste Mal in Kolumbien war, erlebte ich ein Land im Umbruch, und so wurde nicht nur mein Interesse an der Sprache und Kultur geweckt, sondern ich fing auch an, mich immer mehr für die Geschichte und politische Lage Kolumbiens zu interessieren. Nun habe ich wieder die Chance, eine besondere Zeit des Umbruchs in Kolumbien mitzuerleben. Im Juni 2022 wurde das erste Mal in der Geschichte des Landes ein linker Präsident gewählt. Seit August 2022 ist Gustavo Petro, ehemaliger Guerillakämpfer, im Amt, und auch die Vizepräsidentin Francia Márquez, die erste Schwarze Frau in diesem Amt, verkörpert einen Wandel. Ein aktuelles Thema in Kolumbien ist der von Präsident Petro versprochene „Totale Frieden“, der Paz total, denn der Friedensprozess des Landes ist noch nicht abgeschlossen. Auch wenn mit der FARC-EP die größte Guerillagruppe ihre Waffen niedergelegt hat, gibt es weiterhin Guerillagruppen wie die ELN, mit denen noch kein Friedensabkommen geschlossen wurde. Seit Anfang 2023 herrscht aber Waffenstillstand, und ich hoffe sehr, dass es zu erfolgreichen Friedensverhandlungen kommt.

Das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ wird durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) mit Mitteln des Auswärtigen Amts finanziert. Im März 2023 besuchten sogar die Bundesminister Robert Habeck und Cem Özdemir das CAPAZ-Institut im Rahmen ihrer Reise nach Brasilien und Kolumbien. Das war eine spannende Erfahrung für mich persönlich, so einen Besuch im Rahmen des Praktikums zu erleben, denn ich durfte den Besuch fotografisch begleiten. Vor allem zeigt dieser Besuch aber, dass es ein klares Interesse der deutschen Regierung am kolumbianischen Friedensprozess gibt. Das hängt unter anderem stark damit zusammen, dass Kolumbien sehr reich an Bodenschätzen und auch geografisch günstig gelegen ist, um zum Beispiel erneuerbare Energien zu produzieren, die für grünen Wasserstoff verwendet werden, an dem die deutsche Regierung aktuell mehr denn je interessiert ist. Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine importiert Deutschland auch wieder vermehrt Steinkohle aus Kolumbien. Die Ausbeutung von Rohstoffen in Kolumbien für den Export in den globalen Norden steht jedoch im direkten Zusammenhang mit zahlreichen Menschenrechts- und Umweltverletzungen, von denen meist besonders vulnerable Gruppen betroffen sind. Zu diesem Thema, welches sich grob unter dem Begriff Extraktivismus zusammenfassen lässt, werde ich auch meine Masterarbeit schreiben, weshalb das Praktikum auch eine hervorragende Möglichkeit für mich ist, Einblicke in aktuelle Forschungstendenzen zu erhalten. Ich absolviere mein Praktikum im Bereich Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, das heißt, der Großteil meiner Arbeit besteht darin, wissenschaftliche Publikationen des Instituts für Instagram aufzubereiten. Dabei versuche ich, die zentralen Punkte verständlich zusammenzufassen und so die Themen der Friedens- und Konfliktforschung für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Außerdem verfasse ich jeden Monat den Newsletter des Instituts und helfe bei der Organisation von Veranstaltungen.

Das Vollzeitpraktikum bringt es mit sich, dass ich den Großteil meiner Tage im Büro verbringe. Das Büro des Instituts befindet sich in einem ehemaligen Kloster direkt neben der Casa de Nariño, dem Präsidentschaftspalast. Da ich mitten im Zentrum von Bogotá wohne, kann ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Das ist ein großes Glück, denn in Bogotá gibt es statt einer U- oder S-Bahn das Bussystem TransMilenio: Lange Staus gehören zum Alltag, und viele Menschen, die nicht in der Nähe ihrer Arbeit wohnen, müssen einen täglichen Arbeitsweg von mindestens zwei Stunden zurücklegen. Sobald ich morgens aufwache, genieße ich immer als Erstes den Blick über die Stadt, denn ich wohne in einer WG im 22. Stock und habe so einen grandiosen Ausblick. Wenn ich Richtung Osten schaue, dann gucke ich direkt auf die Spitze des Bergs Monserrate, der das Panorama der Stadt prägt. Bogotá liegt nämlich auf rund 2.600 Metern Höhe mitten in den Anden, also fast so hoch wie die Zugspitze. Ich fahre zwar nur zehn Minuten mit dem Fahrrad zur Arbeit, aber gerade am Anfang waren zehn Minuten Fahrrad fahren auf dieser Höhe echt anstrengend. 

Neben der Arbeit bleibt mir gar nicht so viel Zeit, Dinge zu unternehmen, aber ich habe das Glück, dass ich 2018 schon einmal ein Auslandssemester während meines Bachelorstudiums in Bogotá gemacht habe. Deshalb habe ich nicht das Gefühl, durch die knappe Freizeit viel zu verpassen, weil ich die Stadt ja schon kenne. Es war ein schönes Gefühl, wieder zurückzukommen und Freund:innen, die ich während meiner letzten Aufenthalte dort kennenlernte, wiederzusehen und zu besuchen.

Meine Wochenenden verbringe ich meistens damit, die kulinarischen Angebote der Stadt auszutesten: Besonders die sogenannten Plazas de Mercado bieten eine unglaublich große Vielfalt unter anderem an Früchten, Kräutern und Gerichten aus verschiedenen Regionen des Landes zu günstigen Preisen. Meine Lieblingsfrucht ist die Lulo, eine von außen orangene Frucht, die sehr sauer ist, aus der sich aber leckerer Saft herstellen lässt. Die frischen Früchte sind auf jeden Fall ein Highlight meines Aufenthalts und lassen sich auch an fast jeder Straßenecke kaufen. Allgemein findet hier viel Leben auf den Straßen statt. Wenn ich Bogotá in nur einem Wort beschreiben müsste, dann wäre es laut. In dieser Metropole ist wirklich immer etwas los, und auf den Straßen wird man neben Musik und lautstarkem Hupen auch von den Rufen der Straßenverkäufer:innen begleitet, die Mangos, Avocados oder Arepas, traditionelle Maisfladen, verkaufen. Auch wenn ich manchmal auf dem Heimweg von der Arbeit, nach einem stressigen Tag, einfach nur meine Ruhe haben möchte, steht zweifellos fest: Ich liebe diese Stadt, die so bunt, laut und unvorhersehbar ist!

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