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#Wissenschaft #Wissenschaftskommunikation

Klimagerechtigkeit – ein feministisches Anliegen?

Mareen Schröder & Lea Holst, Master Plus-Stipendiatinnen

Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, denn sie gefährdet unsere Lebensgrundlage. Weltweit zeigt sich heute zwar Engagement für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen, um dem menschengemachten Temperaturanstieg entgegenzuwirken und zu lernen, mit seinen Auswirkungen zu leben. Was in der Debatte um die Klimakrise und grüne Technologien jedoch zu kurz kommt, ist, dass das Problem nicht allein durch technische Neuerungen wie Wasserstoff, Windenergie und E-Autos gelöst werden kann. Die Klimakrise ist vor allem eine politische, ethische und soziale Krise und Ausdruck jahrhundertelanger Unterdrückung und von Machtasymmetrien.

Der Begriff „Klimagerechtigkeit“ oder auch „climate justice“ ist in den letzten Jahren vor allem durch Rufe der Fridays-for-Future-Bewegung wie „What do we want? Climate justice! When do we want it? Now“ ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Bewegung stellt ein Exempel für die Reichweite dar, die Aktivismus haben kann. Dabei steht sie vor allem für eine Kritik am Verhalten früherer Generationen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“. Doch während sich unsere Generation in Deutschland noch Sorgen um ihre Zukunft macht, ist die Klimakrise in vielen Teilen der Welt keine bedrohliche Zukunftsutopie mehr, sondern schon längst bittere Realität. Neben den Wetterextremen und Wasser- und Lebensmittelknappheiten, die die Umweltveränderungen mit sich bringen, sind es auch bestehende Ungleichheiten, welche durch koloniale, patriarchale und kapitalistische Strukturen geprägt sind und die durch die Krise reproduziert und verschärft werden. Diesem Aspekt der sozialen Ungleichheit und speziell dem Zusammenhang zwischen Feminismus und der Klimakrise haben wir uns in unserem Workshop „Klimagerechtigkeit – ein feministisches Anliegen?“ beim diesjährigen Stipendiat:innentreffen der Claussen-Simon-Stiftung gewidmet, um die selten thematisierte Komplexität des Phänomens der Klimagerechtigkeit aufzuzeigen, die weit über die Gerechtigkeit der Generationen hinausreicht.

Ziel unseres Workshops war es, drei Dinge deutlich zu machen. Zum einen, dass es sich bei der Klimakrise nicht nur um eine ökologische Krise, sondern um ein komplexes Problem sozialer Ungleichheit handelt. Zum zweiten sind wir auf die Verknüpfung von Gender und Klima eingegangen. Und drittens haben wir uns dem Aspekt Intersektionalität gewidmet:

Der Kern des Problems der Klimakrise ist die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und die gleichzeitige Unterdrückung von gesellschaftlichen Minderheiten und marginalisierten Gruppen, wie beispielsweise Frauen. Klimagerechtigkeit wird so zu einem feministischen Anliegen, das im Allgemeinen die Frage nach der Verantwortung stellt. Wer hat den Klimawandel verursacht und wer nicht? Wer profitiert davon? Studien zeigen: Die Länder des globalen Nordens sind historisch für den größten Anteil der Treibhausgasausstöße verantwortlich und gleichzeitig die Hauptprofiteurinnen der Klimakrise. Die Länder des globalen Südens hingegen haben am wenigsten zur Klimakrise beigetragen, sind aber am stärksten von den Folgen betroffen. Die Verantwortung wie auch die Folgen sind also ungleich verteilt. Die Ursache für die heutigen Machtverhältnisse und die Entstehung der Klimakrise liegt im Kolonialismus und in der kapitalistischen Wirtschaftsform begründet, die auf der Beherrschung der Umwelt und des Menschen beruhen beziehungsweise Wachstum und Gewinnmaximierung anstreben. Die Strukturen, die in Zeiten des Kolonialismus aufgebaut wurden, bestehen teilweise bis heute. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Forderung nach Klimagerechtigkeit ihren Ursprung nicht (wie viele meinen) in der Fridays-for-Future-Bewegung hat, sondern bereits seit Jahrzehnten von Menschen aus dem globalen Süden hervorgebracht wird. So veröffentlichte beispielsweise ein Zusammenschluss aus Nichtregierungsorganisationen des globalen Südens im Jahr 2002 die „Bali Principles of Climate Justice“, die auch heute nicht an Aktualität verloren haben. Ein Beispiel: „Climate Justice demands that communities, particularly affected communities play a leading role in national and international processes to address climate change“. Doch finden diese wichtigen Forderungen zu wenig Gehör in einer Welt, die in einem Zusammenspiel von Dominanz und Unterdrückung entstanden ist und weiter besteht.

Der zweite Aspekt, den wir beleuchtet haben, ist, dass bei Betrachtung der Verbindung zwischen Gender und Klima deutlich wird, dass Frauen und andere marginalisierte Gender besonders stark von der Klimakrise betroffen sind. Beispielsweise sterben sie häufiger an den Folgen des Klimawandels als Männer und besitzen aufgrund der beschränkten Repräsentation in internationalen Gremien eine geringe Entscheidungsgewalt in Klimafragen.

Zuletzt haben wir dargelegt, dass es eine intersektionale Analyse, d.h. eine gleichzeitige und kombinierte Betrachtung verschiedenster Unterdrückungsmechanismen der Klimakatastrophe und ihrer Folgen braucht und diese mit einem feministischen Ansatz möglich ist. Denn um der Klimakrise entgegenwirken zu können, braucht es eine grundlegende Veränderung der global-gesellschaftlichen Verhältnisse. An dieser Stelle können wir von feministischen Theorien lernen, die die Unterdrückung der Natur durch den Menschen mit der jener der Unterdrückung „der Frau“ durch „den Mann“ vergleichen und so Fragen nach Machtbeziehungen stellen: Woher nehmen wir uns das Recht der Dominanz? Können wir uns Ausbeutung erlauben, wenn unser Überleben doch von uns beiden abhängt? Wie brechen wir mit bestehenden Traditionen? Die Klimakrise ist ein Kampf, der schon an anderer Front gekämpft wird und einige Erfolge erlangen konnte. So leistet beispielsweise die Gruppe „Fuerza de Mujeres Wayuu“ im Norden Kolumbiens Widerstand gegen die Steinkohleindustrie in „El Cerrejón“. Seit circa 50 Jahren führt der Abbau und Export von Steinkohle in Länder wie Deutschland zur Vertreibung von indigenen und afro-kolumbianischen Gemeinschaften, verursacht Umweltzerstörung und eine Zunahme an Gewalt. Die „Fuerza de Mujeres Wayuu“ hat in ihrem Kampf bedeutende Investigations- und Forschungsarbeiten veröffentlicht, die die Gewalt durch den Kohletagebau aufzeigen und bietet alternative Lösungsansätze, die zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Gemeinschaft beitragen.

Letztlich zeigt sich: Die Folgen der Klimakrise sind vielschichtig und hängen von unterschiedlichen Faktoren ab. Hierbei ist es neben technischen Neuerungen und Verantwortungszuschreibungen wichtig anzuerkennen, dass marginalisierte Gruppen strukturell stärker von der Klimakrise betroffen sind und die Klimakrise somit als Verstärker ohnehin bestehender Ungleichheiten wirkt. Die unterdrückenden Dynamiken des Patriarchats, des Kolonialismus, Rassismus und des Kapitalismus spiegeln sich in der Klimakrise wider und werden durch diese befeuert. Diesen umfassenden Ansatz der Betrachtung der Klimakrise konnten wir im Rahmen des Workshops ausgiebig mit den Stipendiat:innen mit unterschiedlichen Hintergründen aus verschiedensten Fachrichtungen diskutieren und so einen interdisziplinären Blick auf das Thema werfen. Dafür haben wir die „Hütchen-Methode“ nach Edward de Bono genutzt, die es ermöglicht, ein Problem aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren und in ungewohnte Rollen zu schlüpfen. So sollten diejenigen, die sich schon viel mit Gender Studies befasst hatten, kritisch auf das Thema blicken und Teilnehmende aus den Naturwissenschaften hingegen auf emotionaler Ebene argumentieren. Damit die Debatte um die Klimakrise eben nicht nur auf rein technischer Ebene geführt wird, ist es wichtig, sich dem Ausmaß der Klimakrise bewusst zu werden, um ihre sozialen Dynamiken untersuchen zu können. Intersektionale feministische Ansätze bieten uns die notwendigen Werkzeuge, um dies zu tun. 


Quellen: 

Bechert, L.; Dodo; Kartal, S. (2021). Kolonialismus und Klimakrise. Über 500 Jahre Widerstand. Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus_und_Klimakrise-ueber_500_Jahre_Widerstand.pdf

Cohn, C.; Duncanson, C. (2020). Women, Peace and Security in a changing climate, in: International Feminist Journal of Politics 22: 5, 742-762.

CorpWatch (2002). Bali principles of climate justice. https://corpwatch.org/article/bali-principles-climate-justice. Zugriff 29.10.2022

Zimmermann, J. (2020). Ohne geht’s nicht. Klimagerechtigkeit braucht Feminismus. Heinrich Böll Stiftung. Gunder Werner Institut. https://www.gwi-boell.de/de/2020/11/06/ohne-gehts-nicht-klimagerechtigkeit-braucht-feminismus

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