Zum Inhalt springen

#Kultur

Field Recordings – Hören als soziale Praxis

Jannis Wichmann, Gitarrist, stART.up-Alumnus

Field Recordings sind Aufzeichnungen von nicht selbst erzeugten Klängen und natürlichen Schallereignissen. Im Gegensatz zu Studioaufnahmen finden diese im „Feld“ – also jedem denkbaren Raum oder Ort statt. Die Praxis der Field Recordings ist damit in etwa so alt wie die grundsätzliche Möglichkeit zur mobilen Tonaufnahme. Die Geburtsstunde lässt sich daher vielleicht auf das Jahr 1877 festlegen, als Thomas Edison den Prototyp seines, damals schon mobilen, Phonographen entwickelte. Field Recordings finden unter anderem in Filmen, im Sounddesign, in der Musikproduktion oder auch in bioakustischen Forschungen Anwendung.

Das Field Recording hat sich aber auch als eigenständige künstlerische Praxis etabliert, bei der die Aufnahmen nicht weiter verwertet, sondern selbst als auditive Kunstform angesehen werden. Dabei zeigen sich je nach Kontext unterschiedlichste Perspektiven, von denen aus diverse ästhetische, politische, soziale und kulturelle Fragen verhandelt werden können. Während dies meistens über die unterschiedlichen Räume geschieht, in denen Klänge aufgenommen werden, haben Pionier:innen des Field Recordings wie Pauline Olivieros schon früh das Hören an sich in das Zentrum ihrer künstlerischen Forschung gestellt. "Listen to everything all the time." So beschreibt sie selbst ihr Konzept des „Deep Listening“, bei dem die Grenzen zwischen Musik, Natur-, Umwelt- und Störgeräuschen, zwischen Komponierenden, Performer:innen und Publikum verwischen. Hören als soziale Praxis bedeutet dabei vor allem: Zuhören. Wahrnehmen. Beobachten. Und nicht das, was Hören für uns im Alltag bedeutet: auf einzelne Klänge fokussieren, diese bewerten oder kategorisieren.

Die einzelnen Hörübungen von Pauline Olivieros mögen esoterisch anmuten, sind aber immer auf die materielle Welt ausgerichtet, auf eine Wahrnehmungssteigerung unserer Umwelt und der sozialen Gefüge. Es ist daher kein Zufall, dass Pauline Olivieros gesellschaftskritische und feministische Positionen vertreten hat. Eine Sensibilität dafür, was wir hören oder auch was oder wen wir nicht hören, führt zu Fragen. Der große Reiz des Field Recordings liegt darüber hinaus in der unmittelbaren und genussvollen Erfahrung, auditiv mit der Umgebung in neue und intensive Verbindungen zu treten.

Diese Blick- oder besser Hörrichtungen sollten im Field Recording-Workshop des Stipendiat:innentreffens 2022 in Ratzeburg vermittelt werden, welches unter dem Motto „Verbundenheit – wie gestalten wir Gemeinschaft?" stand. Ausgangspunkt war dabei die Sensibilisierung für die eigene akustische Umgebung und der gemeinsame Austausch in Kleingruppen.
Mit unterschiedlichsten Mikrofonen und Aufnahmegeräten ausgestattet, erkundeten die Teilnehmenden die Umgebung mit offenen Ohren und lernten sie neu kennen. Die dabei angefertigten Aufnahmen ermöglichten uns eine akustische Reise in die inneren Abläufe eines Billardtisches, einen auditiven Zoom auf die raschelnde Oberfläche von Blättern im Wind oder das Erlebnis, wie ein eigentlich ganz normaler Spaziergang durch im Ohr getragene Mikrofone plötzlich zu einem immersiven und hochspannenden Erlebnis wurde.  
Die Teilnehmenden konnten dabei die Erfahrung machen, dass sich hinter der technischen Fassade des Field Recordings eine versteckte, noch zu erforschende Welt voller Überraschungen auftut. Und wie es sich anfühlt, wenn für eine kurze Zeit die Ohren die Kontrolle übernehmen.

Artikel kommentieren

Kommentare sind nach einer redaktionellen Prüfung öffentlich sichtbar.