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#Wissenschaft #Wissenschaftskommunikation

Bedingungsloses Grundeinkommen: Zu schön, um wahr zu sein?

Max Schmid, Stipendiat bei Master Plus

Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa bezeichnet die Soziologie als die Lehre des „guten Lebens“. Darunter verstehen die meisten Menschen erst einmal, keine Geldsorgen und die Möglichkeit zu sozialer und kultureller gesellschaftlicher Teilhabe zu haben. Wissenschaftlicher Konsens ist aber auch: Im bestehenden System kann dies nicht (mehr) für alle gewährleistet werden. So waren im vergangenen Jahr etwa 16 Prozent aller Deutschen von Armut gefährdet, unter Studierenden liegt der Anteil sogar bei über einem Drittel (DIE ZEIT). Für die Soziologie gilt es vor diesem Hintergrund, neue Formen der Solidarität zu erforschen, die die finanzielle Absicherung und gesellschaftliche Teilhabe aller gewährleisten können. 
Eine der in den Medien wohl am meisten diskutierten Lösungen ist das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Grundeinkommen, das bedeutet im Kern: Alle Bürger:innen erhalten regelmäßig und ohne Einschränkungen eine staatliche Geldzahlung. Klingt so weit ja ziemlich einfach. Auf den zweiten Blick drängen sich jedoch einige Fragen auf, etwa: Wie hoch sollte die Geldzahlung sein? Sollte sie monatlich oder doch lieber vierteljährlich ausgezahlt werden? Zählen zu Bürger:innen auch Personen mit Aufenthaltserlaubnis, Asylsuchende und andere marginalisierte Gruppen? Und wahrscheinlich die am häufigsten diskutierte Frage: Lässt sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt finanzieren?

Jede dieser Fragen kann auf die eine oder andere Weise beantwortet werden und alle Antworten hätten ihre Richtigkeit. Grund dafür ist, dass es gar nicht das eine Grundeinkommen gibt. Abseits der grundlegenden Kriterien gibt es eine Vielzahl von Modellen, die sich wesentlich voneinander unterscheiden und immer mit einer großen Anzahl weiterer Maßnahmen einhergehen, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen erst realisierbar machen.

Im Großen und Ganzen lassen sich die verschiedenen Modelle in zwei Kategorien einordnen. So fasst man unter neoliberalen Modellen diejenigen Vorschläge zusammen, die im Bedingungsloses Grundeinkommen die Chance sehen, die Sozialversicherungssysteme und die damit verbundene Bürokratie ganz oder teilweise abzuschaffen und durch ein Grundeinkommen zu ersetzen. Gleichzeitig soll bei diesen Modellen oft der Arbeitsschutz reduziert werden. Da die erwerbstätige Person nicht mehr existenziell auf einen Lohn angewiesen ist, bräuchte es beispielsweise auch keinen Mindestlohn mehr.

Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten emanzipatorischen Modelle, die grundsätzlich den Zusammenhang von Arbeit und Einkommen, Leistung und Verdienst hinterfragen. Das Ziel ist hier wesentlich weitreichender als das der neoliberalen Modelle, denn angestrebt wird häufig ein gesamtgesellschaftlicher Normen- und Wertewandel. In emanzipatorischen Modellen soll das Grundeinkommen beispielsweise die individuelle Handlungsautonomie, anti-hegemoniale Lebensweisen oder die Aufwertung von unbezahlten Tätigkeiten fördern. Während neoliberale Modelle also feste ökonomische Größen als Ziele feststecken, handelt es sich bei emanzipatorischen Modellen eher um schwer quantifizierbare Größen wie gesellschaftlichen und sozialen Wandel.

Besonders faszinierend am Thema des Bedingungslosen Grundeinkommens finde ich genau das. Je mehr man sich in die Thematik einarbeitet, desto mehr Modelle und Sichtweisen lernt man kennen und desto uneindeutiger wird auch die eigene Meinung.

Ein kontroverses Thema also, das ich genau aus diesem Grund als sehr passend für einen Workshop im Rahmen des Stipendiat:innentreffens 2022 empfand. Nach einer kurzen thematischen Einführung gab es in Kleingruppendiskussionen die Gelegenheit, eine eigene Meinung zu konkreten Fragestellungen zu bilden. So erarbeiteten wir zusammen die zentralen Beweggründe für vier unterschiedliche konkrete Modelle eines Bedingungslosen Grundeinkommens und evaluierten deren spezifischen Vor- und Nachteile. Aufgeteilt in gesellschaftliche, sozialpolitische und volkswirtschaftliche Argumente untersuchten wir im nächsten Schritt eine Ebene höher, welche allgemeinen Auswirkungen die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens hätte. Im Plenum konnten wir schließlich die Ergebnisse der einzelnen Gruppen vorstellen und weiter diskutieren. Besonders umstritten war dabei die Frage, ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen innerhalb einer Gesellschaft dazu beitragen könnte, Armut zu verringern. Denn auf der einen Seite erhalten alle Menschen eine existenzsichernde Unterstützung durch den Staat, auf der anderen Seite sind die Bürger:innen ohne komplexe Preisregulierungssysteme der Preispolitik der Unternehmen ausgesetzt: Die Waren könnten einfach in ihrem Preis ansteigen. Auch die Frage, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen international auswirken würde oder wie sich Vor- und Nachteile bei der Einführung in einem EU-Kontext verändern würde, blieb bis zuletzt ein umstrittener Punkt.

Wie realistisch eine Umsetzung am Ende tatsächlich ist, lässt sich kaum vorhersagen. Immerhin haben alle der im Bundestag vertretenen Parteien ein Modell oder mehrere Modelle eines Bedingungslosen Grundeinkommens, die sie bevorzugen. Da diese aber immer mit einer Reihe von Maßnahmen verbunden sind, die für deren Umsetzung beschlossen werden müssten, ist die Umsetzung ein realpolitisches Mammutprojekt.


Lesetipps:

Wright, Erik Olin (2006): Basic Income as a Socialist Project. In: Basic Income Studies 1 (1). DOI: 10.2202/1932-0183.1008".

Spannagel, Dorothee (2015): Das bedingungslose Grundeinkommen: Chancen und Risiken einer Entkoppelung von Einkommen und Arbeit. In: WSI Report 24

Bundesministerium der Finanzen, Wissenschaftlicher Beirat (2021): Bedingungsloses Grundeinkommen. Bundesministerium der Finanzen.

Ketterer, Hanna (2021): Living differently? A feminist-Bourdieusian analysis of the transformative power of basic income. In: The Sociological Review 69 (6), S. 1309–1324. DOI: 10.1177/00380261211034674". 
 

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Ihre Aussage: Immerhin haben alle der im Bundestag vertretenen Parteien ein Modell oder mehrere Modelle eines Bedingungslosen Grundeinkommens, die sie bevorzugen. Außer vielleicht bei den Grünen und den Linken ist mir nicht bekannt, dass die anderen im Bundestag vertretenen Parteien ein bedingungsloses Grundeinkommen unterstützen. Siehe auch meine Website https://www.dein-bedingungsloses-grundeinkommen.de/

Joachim Wittstock
19. Mai 2023

Hallo Herr Wittstock, vielen Dank für Ihren Kommentar und das Interesse! Ich stimme Ihnen in so weit zu, dass die Parteien Modelle nicht aktiv unterstützen. Ich sprach im Artikel ja von „bevorzugen", sprich: Einzelne Modelle stehen den jeweiligen Parteien ideologisch näher oder weniger nah (Der FDP etwa tendenziell Modelle, in denen das Sozialversicherungssystem verkleinert/abgeschafft werden würde). Aber auch aus den Parteien gibt es immer wieder Stimmen, die ein BGE in einer oder einer anderen Form fordern. Hier dazu ein paar Quellen: AfD (https://afdbundestag.de/brauchen-wir-ein-bedingungsloses-grundeinkommen-bge-joerg-schneider-afd-fraktion-in-aachen/), CDU (https://taz.de/CDU-Politiker-will-Grundeinkommen/!5133042/, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=71b75051-0280-a0b3-e77f-e245f882dac5&groupId=252038), SPD (https://www.jusos-pinneberg.de/wp-content/uploads/2018/10/Jusos-Pinneberg-Grundeinkommen.pdf), Die Grünen (https://gruenes-grundeinkommen.de/), Die LINKE (https://www.die-linke-grundeinkommen.de/start/unser-bge/). Vielleicht wäre der Satz aber wirklich klarer, wenn er bspw. hieße: „Immerhin unterstützen Abgeordnete und Mitglieder aller im Bundestag vertretenen Parteien Modelle eines Bedingungslosen Grundeinkommens." Vielen Dank an dieser Stelle auch für Ihre informative Webseite! Mit besten Grüßen Max Schmid

Max Schmid
22. Mai 2023