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#Coronazeit #Kultur #waszählt!

KONTROL – Wir tanzen einfach weiter

Patricia Carolin Mai, stART.up-Alumna

KONTROL is out of control. Ursprünglich sollte das Solo KONTROL erstmalig im Mai 2020 auf Kampnagel gezeigt werden. Aufgrund der Schließung der Theater kam alles anders, und das Solo wurde stattdessen zur Eröffnung der neuen Spielzeit im September und Oktober 2020 uraufgeführt und insgesamt zehn Mal auf Kampnagel in Hamburg sowie am LOFFT – DAS THEATER in Leipzig gespielt.

Aber nicht nur die Theater waren geschlossen, auch alle anderen Kulturveranstaltungen wurden abgesagt. So konnte auch KONTROL auf dem MS Artville-Festival im August in Hamburg nicht wie geplant aufgeführt werden. Das Festival fiel aus, Menschen durften nicht zusammenkommen, nicht gemeinsam feiern und tanzen. Das ursprüngliche Konzept von KONTROL für das MS Artville fokussierte die Wechselbeziehung und Interaktion von Tänzer:in und Publikum – von Individuum zu Gesellschaft: Welche Bewegungen treiben die Zuschauer:innen an? Welche werden situativ kopiert, reproduziert? Ergeben sich in der Wiederholung Veränderungen im Bewegungsmaterial? Aufgrund der aktuellen Pandemie fällt genau diese Verbindung zum Publikum weg. Das gemeinsame Erleben und die Resonanz, die zwischen Tänzerin und Zuschauer:innen entstehen kann, fehlen. 

Was bleibt, ist ein einzelner Körper in Resonanz zum (menschenleeren) Raum. Genau diese Verbindung steht daher im Zentrum des Kurzfilms „KONTROL – Wir tanzen einfach weiter“, der in der digitalen Edition [Recorded Art] des MS Artville präsentiert wurde.

Der Film knüpft unmittelbar an ein zentrales Motiv des Bühnenstücks KONTROL an, nämlich an die gesellschaftliche Normierung von Körpern. Bereits vor dem Film und dem Bühnenstück auf Kampnagel ist dabei ein Werk entstanden: Der eigene Körper, neu geformt. In einem 12-monatigen Selbstexperiment erforschte Patricia Carolin Mai, in welche Richtungen sich ein Körper durch extremes Training verändern lässt und setzte sich so mit Körperbildern und gesellschaftlichen Zuschreibungen auseinander. Der Kurzfilm „KONTROL – Wir tanzen einfach weiter” hinterfragt – wie auch das Bühnenstück – nun mögliche Lesarten ihres Körpers:
Was tritt hervor? Und in wessen Augen? Ist es muskulöse Weiblichkeit? Männlichkeit? Ist es Androgynität? Verwirrung? Wem wird Kraft zugeschrieben?
Sichtbar wird die Ambiguität eines durchtrainierten und dennoch fragilen Körpers, dessen Suche in KONTROL darin besteht, das Zeigen, die Wiederholung und das Reproduzieren vieler eingeschriebener Bilder auf sich zu nehmen. Der Kurzfilm wird so zu einer filmischen Auseinandersetzung mit Körperbildern, -idealen und -optimierungsgeboten unserer Gesellschaft.

Die Bearbeitung der Fragen im Medium des Films unterscheidet sich im Entstehungsprozess und auch im Ergebnis von einer Live-Performance. Während letztere eine klare Zeitlichkeit und vor allem Linearität aufweist, ermöglicht ein Film eine Fragmentierung. Einzelne Szenen können wiederholt gedreht und durch den Schnitt in eine andere Zeitlichkeit gebracht werden, Zuschauer:innen können auf Pause drücken oder sogar zurückspulen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass im Falle einer Bühnenperformance Zuschauer:in und Tänzer:in die gleiche Zeitstruktur erleben, wohingegen sich diese im Film unterscheiden können. Die Flüchtigkeit des Moments, die eine zentrale Erfahrung einer jeden Live-Performance ist, lässt sich im Medium des Films nicht realisieren. Was aber möglich wird, ist, dass die Zuschauer:in im Film zum Beispiel durch Nahaufnahmen weitere Details und Perspektiven auf einen sich bewegenden Körper erleben kann, die ihr ansonsten verborgen bleiben. Die Arbeit an diesem Kurzfilm ist damit auch eine Reflexion darüber geworden, was die jeweiligen Präsentationsformate auszeichnet.

Ich freue mich persönlich sehr darüber, dass mir der Film „KONTROL – Wir tanzen einfach weiter“ die Chance bietet, meine Kunst aus dem Bühnenraum heraus in den öffentlichen Raum zu bringen und mit Menschen weiterhin zu teilen. Ich bin neugierig, auch in Zukunft die (neuen) Möglichkeiten des Mediums Film für meine choreographische Arbeit zu erforschen. Und so steht gleich ein weiteres Film-Experiment an: Am 11. Februar 2021 wird das aus drei Raumperspektiven gefilmte Bühnenstück KONTROL in Liverpool auf der ODD2-Konferenz als Online-Gastspiel und Filmpremiere gezeigt.

Weitere Informationen: ODD 2

Der Film „KONTROL – Wir tanzen einfach weiter“ wurde ermöglicht durch die Unterstützung aus dem „Was zählt!“- Fonds für Kunst- und Kulturschaffende der Claussen-Simon-Stiftung

KONTROL ist eine Produktion von Patricia Carolin Mai; Koproduziert von Kampnagel Hamburg und LOFFT – DAS THEATER Leipzig. Gefördert von: Behörde für Kultur und Medien Hamburg, Fonds Darstellende Künste, Stadt Leipzig, Kulturamt, Claussen-Simon-Stiftung und Rudolf Augstein Stiftung. Unterstützt durch: Hilfsfonds „Kunst kennt keinen Shutdown”, Kunstraum D21 Leipzig, MS ARTVILLE, Seoul Dance Center, Citofonare PimOff Mailand.

Das Gastspiel auf der ODD2, Liverpool wird unterstützt durch das NATIONALE PERFORMANCE NETZ Gastspielförderung Tanz International, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

 

Foto: Julika Schlegel

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