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#Bildung #Coronazeit #Kultur

Little Symphony: Ein inneres Zwiegespräch über Neue Musik für Schulkinder und Orchesterproben unter Corona-Bedingungen

Hector Docx, Komponist

Als Komponist weiß man, dass keine Musik so „modern“ klingt wie ein Schulorchester, das versucht, die gleiche Melodie unisono zu spielen. Solche feinen und schönen mikrotonalen Farben und Reibungen bekommt man selbst nicht von den Profis. Das nächste Mal, wenn ihr in einem Kinderkonzert sitzt, werft einen Blick ins Publikum. Dort sitzen zwei Arten von Menschen: die Eltern, die vor diesem schrägen Klang – trotz aller Liebe der Welt – zusammenzucken, und die Personen, die strahlend und entspannt zuhören. Das sind die Komponisten – das bin ich. Die Neue Musik konfrontiert uns mit einem interessanten Problem. Es fehlen vielen Erwachsenen der emotionale Zugang oder überhaupt das Interesse an dieser Musik. Kinder haben dieses Problem nicht, weil sie diese Musik eben nicht als ‚Neue Musik‘ empfinden, sondern einfach als Musik. Es gibt keine Kategorisierung, es gibt nichts, mit dem sie die Musik positiv oder negativ vergleichen können, es gibt noch nicht die gelernten „richtigen“ Regeln des Instrumentenspiels – es gibt sogar nicht einmal das Bedürfnis, überhaupt eine Meinung dazu zu äußern. Es gibt einfach die Musik, die sie spielen wollen oder nicht spielen wollen. Im Gegenteil zu den Erwachsenen fehlt den Kindern nicht der emotionale Zugang zur Neuen Musik, sondern leider der physikalische Zugang. In der Regel haben sie einfach keine Neue Musik, die sie spielen können. In diesem Geist rief ich mein Projekt „Little Symphony//new is now“ ins Leben. Das Projekt wurde ursprünglich für den Zeitraum März bis Mai 2020 geplant. Die Idee war ganz einfach: Ein lebender Komponist schreibt ein Stück für ein Schulorchester. Um über das Projekt zu berichten, möchte ich mir eine gewisse kindliche Fantasie erlauben. Ich reise in die Vergangenheit, um ein Gespräch mit mir selbst vor dem Projektbeginn zu führen.

F. Also, die geplante Uraufführung ist im Mai?
A. Ha! „Plan“ – süßes Wort. Es gibt keine Pläne mehr. Man reagiert einfach in der heutigen Zeit – und das möglichst schnell. Du wirst sehen. Gerade kennst du das Wort „COVID“ noch nicht, aber du wirst bald jeden Tag darüber fluchen.
F. Also, nicht im Mai?
A. Nein. Und auch nicht im November, obwohl ihr das versucht. Tatsächlich wirst du es komponiert haben und die Kinder werden es super spielen können – aber es wird nie vor einem Publikum aufgeführt. Aber du wirst im Laufe des Projektes merken, dass es nicht wirklich um ein Konzert oder eine Aufführung geht. Es geht um die Arbeit mit den Kindern und die Erfahrungen, die sie durch das Projekt sammeln.
F. Aber ich habe das Stück schon fast fertig, und die Besetzung ist so gut! Fünf Gitarren…
A. Ich weiß, aber du wirst es sowieso neu komponieren müssen, weil die Besetzung des Orchesters sich mit dem Beginn des neuen Schuljahrs immer ändert. Also keine Gitarren mehr – aber dafür vier Blockflöten.
F. Vier Blockflöten im Orchester?!
A. Und eine keltische Harfe.
F. -
A. Ich weiß, ich weiß, ich war auch skeptisch. Du wirst am Ende des Projektes aber die Blockflöten-Stimmen am besten finden.
F. Bis wann soll ich diese Hommage an die Blockflöte für Orchester denn abgeben?
A. Hmmm…
F. Warum guckst du so?
A. Du wirst das Stück nochmal ein bisschen umschreiben müssen, weil zwei Kinder nicht mehr zum Orchester kommen werden. Trompete und Klarinette werden wegfallen. Im Moment denkst du aber noch zu sehr wie ein Komponist, der versucht, seine Karriere weiter zu bringen. Du denkst an Publikum und Applaus.
F. Und du denkst nicht so?
A. Klar denke ich so. Aber dieses Projekt erfüllt nicht diesen Zweck – oder erfüllt den Zweck anders. Hier geht es nicht so sehr um mich als um uns. Es gibt auch andere Gründe, warum man Musik macht und warum man komponiert. Das Weiterbringen einer bestimmten Art von Karriere und Erfolg sollte nicht immer im Zentrum stehen.
F. Und was sind diese anderen Gründe? Von meiner Perspektive aus klingt es nach viel Arbeit für wenig Gewinn. Was ist so toll daran?
A. Du hast die Möglichkeit, die Landschaft, in der du dich als Künstler bewegst, aktiv zu beeinflussen und zu ändern. Beschweren kann sich jeder: „Es gibt keine jungen Menschen bei meinen Konzerten!“ oder „Es gibt kein nachhaltiges Interesse an Neuer Musik!“ usw.
F. Sag ich das?
A. Du und viele andere. Durch dieses Projekt kannst du aber etwas daran ändern. Du kannst dich als Künstler innerhalb eines Raums, der überwiegend von Bewertung und Vorurteil befreit ist, entwickeln. Vor allem hast du die Möglichkeit, deine Kunst direkt in die Gesellschaft zu bringen.
F. Wenn ich das höre, bin ich natürlich neugierig. Ist das Projekt dann sehr anders verlaufen, als wir es konzipiert haben?
A. Im Großen und Ganzen nicht. Ich habe eine aktivere Rolle gespielt, als ich ursprünglich geplant hatte. Ich würde es aber nicht anders haben wollen. Jetzt rechnest du z.B. mit drei Terminen, bei denen du die Proben und die Kinder begleiten sollst. Du wirst aber letztendlich bei fast jeder Probe dabei sein und sehr intensiv mit den Kindern in Gruppen arbeiten. Du wirst sogar das Stück auch mitdirigieren.
F. Warum das alles?
A. Weil es für die Kinder doch schwerer als gedacht ist und weil du aber nicht bereit bist, das Stück so leicht zu machen, dass die Kinder weniger Unterstützung brauchen. Es gibt einen Grund, warum die Stücke, die Schulorchester meistens spielen, häufiger unisono und homogen sind. Denn das macht es viel leichter zu proben, und es ist viel leichter für die Kinder zu spielen.
F. Inwiefern?
A. Kinder finden es leicht, das Instrument zu spielen – sie lernen sehr schnell. Sie finden es aber sehr schwer, nicht zu spielen. Sie haben keine Wahrnehmung der Zeit, in der sie nicht spielen. Das Warten und wieder Einsetzen wird tatsächlich die größte Herausforderung für die Komposition und die Proben sein. Allerdings muss man als Komponist einen Weg finden, die Kinder herauszufordern, ohne dass man sie überfordert. Es geht bei dem Projekt darum, dass sie etwas Neues erleben und eben nicht nur das spielen, was sie schon kennen.
F. Du hast deshalb mit den Kindern so intensiv gearbeitet?
A. Genau. Am Ende konnten sie viel besser Takte zählen und richtig einsetzen. Vor allem haben sie gelernt, dass ein Musikstück aus mehr besteht als der eigenen Stimme. Es ist eine Zusammenarbeit, wo jede:r eine wichtige Rolle spielt.
F. Und ist es spannend, ein Stück mit so vielen Eingrenzungen zu komponieren?
A. Sehr spannend! Man lernt auch, die Musik und das Orchester anders wahrzunehmen. Man muss viel genauer sein in dem, was man schreibt, weil nichts für die Kinder selbstverständlich ist. Das heißt, dass man wirklich über jeden Takt und jeden Ton nachdenken muss, ob diese realistisch umzusetzen sind. Dafür muss man auch die Möglichkeiten der Instrumente sehr gut kennen. Man hat sehr viel Zeit und Raum, sich mit den einzelnen Instrumenten auseinanderzusetzen. Das ist natürlich für einen Komponisten auch eine Luxusposition.
F. Kann man Spieltechniken mit den Kindern ausprobieren, um herauszufinden, ob sie gut funktionieren?
A. Ja, klar kann man das machen. Darum geht es auch. Hier ist die Komposition viel mehr ein Entwicklungsprozess als die Lieferung eines Produkts.
F. Es klingt schon einzigartig, aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich dem Projekt so viel Zeit widmen kann. Jede Woche dabei zu sein, ist schon viel…
A. Du hast recht – es ist viel. Du kannst es dir aber leichter machen, indem du gleich von Anfang an die Kinder und das Orchester besser kennenlernst. Du kannst auch erstmal viel mehr mit dem Orchester oder mit Gruppen ausprobieren. Mein Fehler war, dass ich einfach ein Stück abgeben wollte, aber das Projekt verlangt ein anderes Arbeitsmodell.
F. Aber kannst du dir vorstellen, das Projekt durchzuführen, ohne dass man jedes Mal dabei sein sollte?
A. Absolut! Es wird aber immer vom Orchester und seinem Niveau abhängen. Siebzig Prozent des Orchesters, mit dem du bald arbeitest, sind eigentlich Anfänger. Einige haben nicht mal Instrumentalunterricht. Wenn man das weiß, ist es erstaunlich, was sie geleistet haben. Allerdings war das Projekt aus diesem Grund auch so zeitintensiv. Ich hätte das Stück auf jeden Fall leichter machen können. Andererseits wäre das Stück mit einem anderen Orchester, mit zum Beispiel älteren Kindern, zu leicht gewesen.
F. Also das Projekt könnte auch anders verlaufen -
A. - du stellst irgendwie die ganze Zeit die falsche Frage. Du bestimmst mit den Kindern, wie das Projekt verlaufen sollte. Jedes Projekt wird anders. Du und die Kinder bestimmen, wie schwer oder leicht das Stück sein soll. Wenn du nicht bereit bist, deine Rolle als Komponist und Künstler anders wahrzunehmen, ist das Projekt nichts für dich. Die einzige Voraussetzung ist, dass du die Kinder begeistern und herausfordern möchtest.
F. Und wie ist die Arbeit mit den Kindern?
A. Erschöpfend, witzig, bereichernd, nervig, bezaubernd. Die Arbeit ist so vielfältig wie ein Kind sein kann. Du bist natürlich auch nicht alleine. Die Schule steht hinter dem Projekt, und die Proben werden unkompliziert organisiert. Du wirst auch eng mit der Musiklehrerin Katja Prante arbeiten. Sie ist immer dabei und begleitet das Projekt mit so viel Energie und Leidenschaft. Sie organisiert Extraproben und spricht alles mit der Schulleitung ab. Ihr seid ein Team für das Projekt.
F. Sind die Kinder von dem Stück auch begeistert?
A. Es wird dich überraschen, wie engagiert sie sind. Wie viel Konzentration sie zur Probe mitbringen. Wie sie konzentriert auf dich hochschauen, damit sie ihren Einsatz nicht verpassen, und wie sie dann mit Energie und Begeisterung loslegen. Fast so, als ob jemand das Stück nur für sie komponiert hat… Glaub mir: Diese Erfahrung ist einzigartig.
F. Dann weiß ich jetzt Bescheid, worauf ich mich einlasse!
A. Eine Kleinigkeit noch: Du wirst das Ganze hier alles mit einer Maske auf deinem Gesicht machen müssen.
F. Was – Wie?
A. Okay bye…

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