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#Kultur

Remix! Was Kreativität ist, und wie wir sie trainieren können

Simone Karl, Bildende Künstlerin, stART.up-Alumna

Kreative Ideenfindung

Kreative Ideenfindung gehört heute selbstverständlich zur modernen Unternehmensführung, und am laufenden Band werden prägnant klingende Techniken mit dem Versprechen entwickelt, möglichst schnell hochwertige Ideen zu produzieren. Aber obwohl die Flut an Ratgebern zu diesem Thema so groß ist, kommt es oft zu folgenden Gedanken: „Ich komme selten auf gute Ideen.“ oder: „Immer wenn ich eine gute Idee brauche, habe ich keine.“ Es entsteht schnell eine Spirale aus Stress und Blockaden.

In meiner interdisziplinären Arbeit als Künstlerin und Designerin springe ich täglich zwischen den unterschiedlichsten Themen und Medien. Ein einziger Tag kann mit Projektanträgen, Wirtschaftsgrafiken und der Arbeit an neuen Collagen gefüllt sein. Damit dieser Prozess überhaupt möglich ist, habe ich mich mit klassischen und experimentellen Techniken der Ideenfindung beschäftigt und bemerkt, dass viele davon an sich zwar sehr effektiv sind, dass aber aus meiner Sicht häufig Grundverständnis und Übung von Kreativität fehlen. Wer eine neue Methode lernt, erwartet oft, diese bei Bedarf sofort einsetzen zu können, um aus dem Nichts eine Idee im Hochglanzformat zu zaubern. Würde man die Erwartungen, die an die Kreativität gestellt werden, auf eine Sportveranstaltung übertragen, sähe das in etwa so aus: Eine Frau, die niemals joggen geht, soll auf Kommando einen Marathon laufen und möglichst den ersten Platz belegen. Als Unterstützung gibt man ihr ein Paar moderne Laufschuhe. Wie erfolgreich so ein Marathon ist, kann man sich vorstellen.

Es liegt natürlich nahe, dass die Joggerin regelmäßig trainieren sollte. Aber was soll denn bei Kreativität und Ideenfindung eigentlich trainiert werden? Zum besagten Grundverständnis von Kreativität gehören aus meiner Sicht drei essentielle Elemente: Das Verständnis von Kreativität, das Auflösen von Blockaden und das Auffüllen einer inneren Bibliothek.

Kreativität – ein Werkzeug für die Neuanordnung vorhandener Quellen (Remix)

Erfolg und Scheitern beim bewussten Einsatz von Kreativität hängen oft von negativen Glaubenssätzen zu diesem Begriff ab. Was jeden Kreativprozess im Keim erstickt, ist dabei folgender Satz: „Ich bin leider nicht kreativ.“ Damit wird Kreativität zu einer übersinnlichen Gabe, die nur einigen wenigen – meist Künstler:innen – in die Wiege gelegt wurde. Mit dieser Haltung ist es natürlich schwierig, selbstbewusst an einer innovativen Idee zu arbeiten – gerade, wenn man Ingenieur:in statt Künstler;in ist. Glücklicherweise ist Kreativität jedoch keine göttliche Gabe, sondern ein sehr praktisches, lösungsorientiertes Werkzeug. Und vor allem ein Werkzeug zum Remixen. Diese Definition löst direkt den zweiten Glaubenssatz, welcher ein beliebtes Mantra meiner Studienzeit war: „Alles war schon einmal da!“ Wer diesen Satz sagt, meint meist Folgendes: „Deswegen kannst du nichts Neues oder Innovatives mehr entwickeln!“ Betrachten wir jedoch die Kreativität als Werkzeug des Remixens, wird dieser Glaubenssatz zu folgender Aussage: „Es gibt einen endlosen, stetig wachsenden Pool an Ideen, Büchern, Theorien und Erfindungen, aus dem sich die Kreativität bedienen und so eine noch größere Menge an weiterentwickelten Produkten, Ideen, Werken schaffen kann.“ Eine großartige Voraussetzung!

Nichtlineares Denken und das Auflösen von Blockaden

Haben Sie schon einmal folgende Stellenanzeige gelesen: „Wir suchen Mitarbeiter:innen, die in den immer gleichen Bahnen denken“? Wohl eher nicht. Unternehmen suchen nach Persönlichkeiten, die kreativ, lösungsorientiert und flexibel denken. Eine große Herausforderung, wenn man schon früh dazu sozialisiert wurde, in nur eine Richtung zu denken. Ebenso wie wir in der Schule vom Tisch zur Tafel oder zum Bildschirm schauen, tragen wir auch später Scheuklappen für alles, was rechts und links zwischen uns und dem Ziel noch möglich ist. Leider liegen aber meist dort die interessantesten Ideen. Als Rezipient:innen und Konsument:innen wollen wir überrascht werden. Aber wie soll das gelingen, wenn schon auf Seiten der Produzent:nnen nur geradeaus gedacht wird? Und wie denkt man rechts und links neben den alten Mustern, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren? Leider können wir im Arbeitsalltag nicht wie Kinder kreuz und quer assoziieren und die absurdesten Einfälle zur Wahrheit erklären. Aber eine Annäherung an diesen Zustand kann sehr hilfreich sein, um neue Denkmuster und facettenreiche Verknüpfungen im Denken aufzubauen. Tägliches freies Assoziieren oder spielerisches Erzählen sind perfekte Methoden, um niederschwellig neue Verknüpfungen im Gehirn aufzubauen und die Kapazität des eigenen Einfallsreichtums überhaupt kennenzulernen. Natürlich kann man dieses spielerische Denken auch direkt bei laufenden Projekten anwenden, aber viel effektiver ist ein regelmäßiges, freies Training, um die Flexibilität im Denken zu behalten und im besten Fall noch zu erweitern.

Grundlagen zum Remixen schaffen – die innere Bibliothek auffüllen

Wenn wir davon ausgehen, dass sich unsere Kreativität als Remix-Werkzeug an Bestehendem bedient und dieses mit aktuellen Fragen und anderen Inhalten verknüpft, ist natürlich klar, dass wir dafür Material brauchen. Durch meine Arbeit mit Collagen finde ich das Bild einer inneren Bibliothek dafür sehr passend. Diese Bibliothek sollte immer gut gefüllt werden, um eine gute Arbeitsbasis für den Ernstfall – den Moment, in dem sofort eine gute Idee gebraucht wird – zu schaffen. Der Input kann und darf in meinem Arbeitsalltag zunächst alles sein, da innovative Ideen oft von Überraschung leben. Spezialisiert man sich auf ein Thema, können die Regale natürlich mit Texten zu beispielsweise Umweltschutz oder Feminismus gefüllt werden. Im Grunde ist das ein Prozess, den wir unbewusst durchführen. Durch eine Visualisierung als gefüllte Bibliothek und die bewusste Aufnahme von Input kann dieser Prozess eine sehr starke Grundlage für die Anwendung von Kreativität als Remix-Werkzeug in konkreten Arbeitssituationen werden, da Sie sich direkt daran bedienen können.

Ein Beispiel: Produziere einen kurzen Film zum Thema: „Wir feiern 1000 Follower auf LinkedIn“!

Diese Aufgabe klingt trocken, und bei den Wenigsten werden die Ideen nun sprudeln. Vielleicht sind wir leider doch nicht kreativ? Das Problem liegt hier aber bereits in der stark eingegrenzten Gedankenwelt, die durch fertig verknüpfte Begriffe entsteht. Man kann sich das Problem wie das Anwenden von Filtern beim Online-Shopping vorstellen: Je genauer die Filter, desto geringer ist die Auswahl. Bei Filtern wie „Mantel“, „Rot“ und „Schwarze Knöpfe“ wird vielleicht ein Ergebnis angezeigt, aber wir werden nie erfahren, ob ein blauer Daunenmantel mit Reißverschluss nicht viel besser wäre und wir damit ebenfalls einen schönen Mantel hätten. Gehen wir damit auf die Aufgabe mit dem Video zurück. Die Ideenvielfalt lässt sich deutlich erhöhen, indem wir die einzelnen Begriffe voneinander lösen und jeweils für sich mit Assoziationen füllen. Mit einem einfachen Brainstorming zu den jeweiligen Teilen werden aus Followern Schafherden, Leidenschaft, Traum oder Freunde und aus der Zahl 1000 Menschenmassen, Sportveranstaltungen, Luftballons oder Mathematik. Wir lösen uns damit nicht nur von dem linearen Denken der Aufgabenstellung, sondern füllen zugleich den Kopf mit völlig neuen Inhalten. Natürlich ist damit noch keine fertige Idee geboren. Aber die Grundlage, auf der man weiterarbeiten kann, ist um ein Vielfaches facettenreicher geworden und damit auch die Chance größer, eine wirklich überraschende und neuartige Idee mit starkem Storytelling zu entwickeln.

In Bewegung bleiben

In meinem sehr abwechslungsreichen Alltag zwischen freien und angewandten Werken, Projektplanung und Selbstmanagement hat sich die Kreativität vor allem in einer Eigenschaft gezeigt: Sie ist sehr dynamisch. Hier finde ich auch den Vergleich mit einem Training sehr passend. Wenn wir uns in einer Sackgasse verrennen und starr gegen Blockaden und Verkettungen negativer Glaubenssätze über den Mangel eigener Kreativität stoßen, wird sich nichts bewegen. Wenn wir aber geübt haben, nach Leitern und anderen Umwegen Ausschau zu halten, die uns auf einem bisher unbekannten Weg aus dieser Sackgasse führen, gibt es eine große Chance, neue Lösungen und Ideen zu entwickeln. Man könnte die Gedanken und Möglichkeiten von kreativer Ideenfindung noch viel weiter ausführen, visualisieren und gemeinsam trainieren. Aber so wie bei jedem Werkzeug ist es am besten, den praktischen Einsatz und die richtige Handhabung regelmäßig selbst zu üben.

Dieser Text entstand als Weiterführung meines Workshops „Kreative Ideenfindung“ im Rahmen des Alumni:aetreffens 2021 der Claussen-Simon-Stiftung.

 

Foto: Vera Drebusch

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